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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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vergeblich versucht, seine Spur wiederzufinden.
    Während sie erzählte, hielt sie den Blick stur auf ihren Teller gerichtet, als würde es sie in keiner Weise kümmern, welche Wirkung ihre Worte auf mich hätten. Sie stürzte sich auf die Gerichte, handhabte Messer und Gabel mit großer Geschwindigkeit und Präzision und verschlang jeden Bissen in Windeseile wie ein Tier.
    Dann berichtete sie mir, ohne dass ich sie in irgendeiner Weise darum gebeten hätte, von ihrem Nachmittag. Großes Gestikulieren, bei dem mich der Verdacht beschlich, es könne auf eine Lüge hinweisen. Aber warum belog sie mich? Hatte sie etwas zu verbergen, was auch immer? Ich bin mir nicht sicher. Vielleicht waren es willkürliche, rein zum Vergnügen ausgedachte Lügen, ich bekam es nicht heraus und würde es nie herausbekommen, aber ich neige stark zu dieser Annahme.
    Ich tischte den Käse auf, der Wirkung des Stiltons gewiss. Irrtum, ich kannte sie schlecht. Sie zeigte kein übermäßiges Erstaunen – immerhin eine kurze freudige Anwandlung (ein umgehend unter Kontrolle gebrachtes Aufleuchten der Augen) –, dann jedoch eine kleine Verstimmung als sie mit der Nase auf der Verpackung feststellte, dass mein Stilton aus Nottinghamshire und nicht aus Leicestershire, ihrer Lieblingsprovenienz, stammte (mit zuckersüßer Stimme: »Mir war so, als hätte ich es Ihnen doch erklärt«), unglaubliche, unglaubliche Miss Perking!
    Erdbeeren mit Zimtsirup.
    Aus dem Augenwinkel achtete sie darauf, dass ich nicht mehr nahm als sie.
    Und sie warf mir vor, aufs Sofa gekrümelt zu haben. »Nicht so sehr wie Sie«, sagte ich, was stimmte, aber sie leugnete das Offensichtliche wie ein kleines Kind, das sich um jeden Preis unbeliebt machen will, es war unmöglich sie egal bei welchen Thema zur Einsicht zu bringen, wenn sie sich einmal in den Kopf gesetzt hatte, Recht zu haben, rannte man bei ihr gegen eine sehr massive Wand.
    Sie wollte mich Klavier spielen hören. Am Vortag hatte ich es ihr abgeschlagen, es kam also nicht in Frage, ihr heute nicht das letzte Wort zu lassen. Ich spielte. Ich sagte nicht was, keine Lust. Manchmal hat man Lust zu sagen, was man gleich hört oder spielt, und manchmal nicht. An diesem Tag nicht. (Doch: die
Danza de la pastora
, von Ernesto Halffter.) Einen Moment lang sah ich in dem kleinen Spiegel an der rechten Wand, wie ihr strenger, starrer Blick eilig Sanftmut heuchelte, als er meinem begegnete.
    Der Form halber klatschte sie Beifall. Die Musik ließ sie ungerührt.
    Worauf sie meine Hand nahm und mich ins Schlafzimmer führte. Dankte sie mir für die gewechselte Bettwäsche, für das aufgeräumte Zimmer? Nein.
    Sie zog sich aus. Als sie ihre Finger betrachtete, erspähte sie ein Haar, das halb unter den Nagel des linken Zeigefingers geklemmt war. Entsetzter Gesichtsausdruck: Ebenso sorgfältig als wollte sie Spargelwurzeln aus der Erde entfernen, zupfte sie es mit dem Daumen und dem Zeigefinger der rechten Hand heraus. Alles, was den jungfräulichen Eindruck ihrer Haut beeinträchtigte, eine Rötung, einen Kratzer, einen Fremdkörper, sah sie an, als würde sie einen Skorpion erblicken. Dann begann sie ihren großen nackten Körper zu bewegen, sich zu winden und den Kopf nach rechts und links zu schrauben, ohne dass ich zunächst begriff, warum. Hatte sie ein Spinnenbataillon ihre Seiten hinauf klettern sehen? Nein, sagte sie, sie warf nur einen prüfendenBlick auf ihre hoffentlich gleichmäßige Bräune – obwohl sie nicht im Geringsten braun war, es war mehr als ein Sonnenbad nötig, um ihre milchig weiße Haut zu verfärben, ihre Haut, die so weiß war, dass man im Geist dazu neigte, sich eine grelle Kontrastfarbe vorzustellen, knallrot zum Beispiel, sodass ich beim Gedanken an Irènes Körper häufig an ihr Blutweiß dachte.
    Natürlich hätte sie mich mit einem Fluch belegt, wenn ich mich erdreistet hätte, ihr zu sagen, dass sie nicht den geringsten Hauch von Bräune abbekommen hatte.
    Sie wartete, dass ich mich auszog, also zog ich mich aus. Im Gegensatz zum Vortag, weil sie weniger Scham verspürte, aus Lüsternheit und aufgrund eines für sie typischen Schwankens zwischen den Gegensätzen wollte sie heute sehen, alles sehen, so viel wie möglich sehen, das war die Nacht des vollen Lichts, alle drei Lampen wurden angeschaltet, und Irène, auf dem Bett sitzend, betrachtete und betastete mich in tausendfacher Weise – und wenn sie sich manches nicht sofort traute, lag das nicht etwa an ihrer Schüchternheit, sondern

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