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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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Nummer 17 vorbei käme, mit der sie so viele Erinnerungen verband.
    Eines der letzten Gemälde von Michel war im Schaufenster der Galerie ausgestellt. Ein paar Pinselstriche und Flecken genügten, um eine leere, gespenstische Landschaft heraufzubeschwören. Clara hielt ihre Tränen zurück. Dieses mitten in der Stadt ausgestellte, für alle sichtbare Werk erinnerte sie auf besonders grausame Weise daran, dass sein Schöpfer tot war und diese Welt für immer verlassen hatte.
    Sie erreichte die Buchhandlung, die kaum zwanzig Meter entfernt lag.
    An der Tür hing eine blaue, frisch gemalte Miniatur, die verschiedene Tiere darstellte.
    Sie trat ein.

K APITEL 22
REZITATION
    Ich vergehe, ach, vor Schmerz,
Und jene, die mir das Leben schenken könnte,
Tötet mich, ach, und eilt mir nicht zur Hilfe!
Oh, grausames Schicksal,
Jene, die mir das Leben schenken könnte, ach, sie bringt mir den Tod
.
Carlo Gesualdo,
Madrigale

6. Madrigalbuch, Nr. 17
    Endlich durchtrennten wir das Band der Abwesenheit
.
Luis Archer,
Gesetzlos
.

Wenige Stunden nach Irènes Aufbruch hatte ich Anabel Trieste und Mireille Bel angerufen, als mein Telefon plötzlich klingelte. Der Notar Diego Ruiz bat mich, vorbeizukommen, wann es mir passte, um eine Reihe von Dokumenten zu unterschreiben, die das Erbe und die Geschichte mit dem Studio betrafen: Alles war geregelt! Wann es mir passte? Ich dachte nicht lange nach. Da ich nicht recht wusste, wie man so sagt, was ich mit mir anfangen sollte, schlug ich sofort vor, und sofort war möglich.
    Ich begab mich in sein Büro in der Rue de la Tour-Malvert, 7. Arrondissement, wobei ich viel zu schnell und im Zickzack durch den für einen Freitagnachmittag ungewöhnlich flüssigen Straßenverkehr fuhr, aber ich handelte mir weder einen Unfall, noch die Anfeindungen eines übereifrigen Gendarmen ein
    Ich war aufgewühlt, als ich dem kleinen, mageren, freundlichen Diego Ruiz begegnete – der offenbar über magische Kräfte verfügte und zu meinen Gunsten den Zauberstab geschwungen hatte. Es hatten mehrere Telefonate zwischen ihm und Madame Duchand stattgefunden (das letzte erst gerade eben), sie hatten alles geregelt, ich brauchte mich um nichts mehr zu kümmern, der Laden am Boulevard Sucatraps gehörte quasi mir …
    Ich setzte meinen Namen unter Tausende von Seiten, Luis Archer, Luis Archer, Luis Archer, worauf hin ich mich im Besitz eines Vermögens befand.
    Maximes Erbe, das es mir erlauben würde, meinen Laden in das Studio meiner Träume zu verwandeln, würde mir bald überwiesen werden. Bis ans Ende meiner Tage vor Bedürftigkeit geschützt zu leben (der Gedanke war beinahe beängstigend) – und zu sterben, nachdem ich zahllose Bearbeitungen sowie,
Deo juvante
, zahllose Eigenkompositionen aufgenommen hätte.
    Diego Ruiz und ich verabschiedeten uns mit zugeschnürter Kehle. Maximes Präsenz war bei unserer Unterredung allzu spürbar gewesen!
    Nun, was anfangen mit dem angebrochenen Tag?
    Ich hatte zu nichts Lust.
    Ich kehrte in die Rue des Martyrs zurück und fand dort ein wenig Frieden. Es war so, als würde ich von einer langen Reise zurückkehren und mir sagen können: »In meiner Wohnung gibt es wenigstens mich!«
    Ich genoss Irènes Abwesenheit.
    Aber um zwanzig Uhr schlug mein Herz schneller.
    Nein, nichts, Stille. Gerettet! Gerettet vor dem Fluch, der an allen noch folgenden Tagen meines Lebens um zwanzig Uhr ein gebieterisches Läuten hätte ertönen und Irène auf ihren hohen Absätzen erscheinen lassen, die gut ausbalancierte Maggie, der Drache Perking, der alle Lügen- und Egoismus-Rekorde im gesamten Universum übertraf.
    Ich verbrachte ein ganzes Wochenende außerhalb der Zeit.
    Ich bewegte mich nicht von zu Hause fort.
    Ich schlief viel.
    Am Samstagabend notierte ich meinen Besuch bei Diego Ruiz in mein knallrotes Lederheft. Mein Wunsch, eine an der Quelle der Vergangenheit getränkte autobiografische Erzählung zu verfassen, würde den jüngsten Ereignissen ihren Sinn verleihen (zumindest hoffte ich, dass sie ihnen den Sinn nicht etwa nähme), ein Vorhaben, das (wie man sich erinnert) am 25. Mai in mir entstanden war, am Tag, der auf meine erste heroische und leidenschaftliche Nacht mit Irène gefolgt war.
    Wann würde ich mich an die Arbeit machen? Nach dem Ende, nach meiner Begegnung mit Clara.
    Ehrlich gesagt setzte ich mich erst einige Tage nach dieser Begegnung ans Werk (wie ich inzwischen offen zugeben kann) – nach einer letzten überraschenden und vernichtenden Wendung (die, so

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