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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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mich tröstend an der Schulter fasste (ohne ein Bemerkung über meine Anwesenheit zu verlieren). Er war in Begleitung einer jungen japanisch aussehenden Frau mit feinem, schön gezeichnetem aber ausdruckslosem Gesicht, die er mir vorstellte: Rina Masuda, die diensthabende Inspektorin.
    Zwei Gendarmen kamen näher. Gusta raunte ihnen zwei Worte zu, und sie verschwanden wieder mit ernster Miene.
    Gusta, Rina Masuda und ich saßen auf einer Bank, und die Inspektorin, die einen ziemlich neu wirkenden Laptop dabei hatte, vielleicht benutzte sie ihn zum ersten Mal, begann meine Zeugenaussage aufzunehmen, Name, Vorname …
    Ein Mann, der einem Gendarm folgte, kam genau in dem Moment auf uns zu, als ich die Worte sprach: »Musiklehrer am Institut Benjamin.« Der große, sehr dunkelhaarige, etwa fünfzigjährige Mann, dessen mürrischem Blick ich begegnete, hieß Henrik Hansen und war Hubert Maynials nächtlicher Hausbediensteter, der Fußgänger-Überfahrer. Gusta stand auf, nahm ihn zur Seite und schickte ihn umgehend wieder fort.
    Rina Masuda hatte lange schwarze Haare, die mit allerlei Plastikspangen sorgfältig zusammengehalten wurden, aber sie waren so lang und glatt, dass sie an manchen Stellen aus der kunstvollen Hochsteckfrisur glitten und gewissermaßen ein Eigenleben zu führen schienen. Als sie mit ihren Fragen fertig war, sagte sie zu Gusta, sie müsse noch den Raum inspizieren, und ließ uns allein.
    »Sie geht ein wenig herumschnüffeln«, sagte Gusta. »Sie ist eine erstklassige Mitarbeiterin, ich bin immer froh, wenn ich mit ihr zusammenarbeiten kann. Sagen Sie mal, mein Lieber, Ihr Schicksal hat ein besonderes Talent dafür, Sie in abstruse Situationen zu verwickeln? Man muss zwar sagen, dass Sie es diesmal so gewollt haben – aber man muss auch sagen, verzeihen Sie die Banalität der Bemerkung, dass genau darin die Perfidie des Schicksals liegt …«
    Endlich ein Kommentar! Ein eher wohlmeinender Kommentar, das spürte ich wohl. Trotzdem wartete ich auf die Fortsetzung, auf den Vorwurf – der sich prompt in die Unterhaltung schlich:
    »Muss ich noch hinzufügen, dass Sie nicht hätten kommen dürfen? Ich verstehe Sie, ich habe sehr wohl gehört, was Sie am Telefon gesagt haben. Aber Sie hätten es nicht tun dürfen. Sehen Sie sich den Schlamassel nur an.«
    Das Wort »Schlamassel« löste in mir den zweiten Schock des Abends aus: Plötzlich kam mir der Gedanke – daran hatte ich bis dahin noch gar nicht gedacht –, dass Maynial ohne meinen Besuch vielleicht nicht tot wäre. Mein Gesichtsausdruck veränderte sich offenbar. Gusta, der kluge Gusta, begriff sofort und fügte rasch hinzu:
    »Verstehen Sie mich nicht falsch, ich dachte dabei nicht an Monsieur Maynial! Ich habe ihn erst am 12. September gesehen und hätte mich nicht gewundert, am 13. von seinem Selbstmord zu erfahren. Es war eine Frage von wenigen Tagen, seien Sie dessen versichert. Warum er allerdings … der reinste Wahnsinn. Nein, ich dachte dabei an Sie, noch so ein harter Schlag, noch mehr Sorgen!«
    Was für Sorgen? Heute Abend würde man jedenfalls nicht meine Fingerabdrücke auf der Waffe finden, sondern nur seine. Sorgen? Man konnte mir nichts vorwerfen!
    Antoine Gusta schien meine besorgten Gedankengänge erneut zu erraten:
    »Es hat zwischen Ihnen doch keine Berührung gegeben? Ich meine, körperliche Berührung? Sie haben ihn nicht angefasst, er hat sie nicht angefasst?«
    »Nein! Ich habe ihm nicht einmal die Hand gegeben. Warum?«
    »Warum? Weil eifrige Polizisten auf Ihnen und auf ihm nach Spuren von Schlägen oder Kratzern, nach Blut, Speichel, Haaren oder Stofffasern suchen werden …«
    In dem Moment kamen Krankenwärter dicht an uns vorbei, die Maynial auf einer Bahre hinaustrugen, er war von Kopf bis Fuß von einer dicken weißen Decke verhüllt.
    Ich erwiderte:
    »Sollen sie doch suchen, wonach sie wollen, das bringt mich nicht aus der Ruhe. Es wird ergebnislos bleiben.«
    »Davon bin ich überzeugt«, sagte er.
    Ja, ich hätte schwören können, dass er mir gegenüber wohlmeinend war, ich nehme das Gesagte nicht zurück, ich widerrufe meinen Eindruck nicht. Trotzdem beschlich mich ein Zweifel, ein winziger Zweifel, und ich fragte mich, ob nicht eine Spur (eine winzig kleine, minimale Spur) Ironie in seinem: »Davon bin ich überzeugt« steckte. Aber ich zwang mich zur Vernunft und sagte mir, dass dem nicht so sei. Warum unterstellte ich Gusta so leichtfertig feindliche Absichten? Ich war am Ende meiner Kräfte, ich wollte

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