Gesetzlos - Roman
allein sein, wollte den Schuss und Maynials Gesicht vergessen, aus diesem verfluchten Schloss fliehen.
Rina Masuda gesellte sich wieder zu uns. Gusta hatte Recht, sie war äußerst effizient: In kürzester Zeit hatte sie zwei Kameras im Raum ausgemacht, eine über der Eingangstür, eine andere über Maynials Sessel.
Eine Stunde später auf der Polizeistation, war die Angelegenheit für mich erledigt.
Wir hatten die Filme in beiden Kameras gesichtet. sie waren kurz: Maynial hatte sein Überwachungssystem genau in der Minute angeschaltet, als ich bei ihm eingetroffen war. Weil er wirklich überzeugt war, ich sei gekommen, um ihn zu töten, und mich der aufgezeichnete Film in diesem Fall als Täter entlarvt hätte? Nein, diese Hypothese verwarfen wir. War es nicht eher so, dass er, im tiefsten Innern von meiner Unschuld überzeugt (insbesondere nachdem er mich an der Gegensprechanlage gehört hatte), (in seinem Wahn) beschlossen hatte, seinem Leben an diesem Abend ein Ende zu setzen – und in diesem Fall waren die Bilder im Gegenteil dazu bestimmt, den Verdacht von mir abzulenken? Vielleicht. Wir würden nie herausfinden, was in seinem kranken Hirn vor sich gegangen war.
Der Revolver war tatsächlich ein Feuhm S4, dasselbe Modell wie der andere (bis auf den fehlenden Schalldämpfer, den letzten Schrei). Handelte es sich um einen Zufall oder besaß Maynial ein ganzes Waffenlager, zumindest diese zwei Waffen, und hatte seinem niederträchtigen Handlanger eine davon zur Verfügung gestellt? Musste man in diesem zweiten Fall nicht davon ausgehen – zumal es als ziemlich unwahrscheinlich gelten dürfte, dass ein Killer nicht sein eigenes Material verwendet (sagte ich zu Gusta und zu Masuda) –, dass es sich bei dem Befehlsempfänger um einen Mann handelte, der gewiss zum Schlimmsten bereit, aber kein Profi war, mit anderen Worten eine nahestehende Person, ein Verwandter, jemand aus dem Umfeld von Maynial, mit dem er eine Vereinbarung getroffen und den er dann mit dem Feuhm S4 ausgestaltet hätte? War das nicht der Ansatz einer Fährte für die Ermittlung?
»Interessant«, erwiderte Rina Masuda mit einem zustimmenden Funkeln in den Augen. »Die Möglichkeit ist in Betracht zu ziehen.«
(Ich sage es gleich, der Killer wurde nie gefunden, egal ob Profi oder nicht.)
»In der Tat«, fügte Gusta hinzu. »Wie fühlen Sie sich, Monsieur Archer? Sie sind ganz bleich … haben Sie die Kraft, allein nach Hause zu fahren, oder möchten Sie lieber …?«
»Nein, es geht schon. Es wird gleich besser.«
Ich dankte ihm noch einmal, dass er gleich auf meinen Anruf reagiert und sich mitten in der Nacht hierher begeben hatte. Er hatte nicht geschlafen, versicherte er mir. Sein Magen hinderte ihn leider allzu oft daran. Nein, keine Schmerzen (erklärte er Rina Masuda, die ihr Schweigen gebrochen hatte, um nachzufragen), nur ein mulmiges Gefühl, eine Schwere, ein Druck, der im Übrigen nachließ, sobald er aufstand.
»In dem Fall ist es bestimmt ein Problem mit der Magensäure«, sagte Rina Masuda (die sich offenbar für das Thema interessierte).
»Richtig«, sagte Gusta, »das hat der Arzt auch gesagt. Wie man das allerdings wieder loswird …«
Am Ende sprachen wir noch einmal das traurige Schicksal der Familie Maynial an, ein wahrer Fluch, und dann verabschiedete ich mich.
»Wenn wir uns das nächste Mal sehen, dann hoffentlich um über Musik zu sprechen«, sagte Antoine Gusta noch.
»Das hoffe ich auch.«
Ich erinnere mich an Rina Masudas graziles Gesicht, als sie mir die rechte Hand reichte und mit der linken eine Haarsträhne zurückstrich, die ihre über die Wange fiel und fast die Nase kitzelte.
Ich versuchte gar nicht erst zu schlafen, trotz der beiden Beruhigungsmittel, die ich eingenommen hatte, gleich nachdem ich die Tür hinter mir geschlossen hatte (Beruhigungsmittel, keine Schlafmittel, und wenn ich sage, dass ich diesmal sehr genau achtgab, kann man mir das glauben). Ich trank einen halben Liter Wasser, verbrachte eine Viertelstunde unter der Dusche, wusch mir die Haare, bürstete mir die Nägel mit meiner schönen Abba Kappa-Bürste, die ich, so unansehnlich sie auch war, angesichts der außergewöhnlichen Umstände unbedingt wieder in Betrieb nehmen wollte, schlüpfte in frische Kleidung und brach daraufhin in heftiges Schluchzen aus, das ebenso abrupt gleich wieder verebbte und mich im schweißgebadeten Zustand hinterließ – erneutes Duschen, Rückkehr ins Wohnzimmer, Sofa, plumps, linkes Kissen, da
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