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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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meldete sich ein heuchlerischer Schmerz im Bauchbereich, und um drei Uhr morgens rief ich schließlich Maxime an, da sich jemand wie ich nicht damit begnügte, mit seiner Gegenwart die Wege des Bösen nachzuzeichnen, sondern obendrein zu nachtschlafener Zeit die Leute aus dem Bett holte.
    In seiner Bestürzung und Fassungslosigkeit musste sich der vortreffliche Maxime regelrecht zusammennehmen, nicht schnurstracks zum Flughafen von Karthago zu rasen, das zuständigePersonal zu wecken und das sofortige Starten eines Flugzeugs zu erzwingen, um schnellstmöglich bei mir zu sein.
    Wir unterhielten uns mindestens eine Stunde. Er riet mir, Urlaub zu nehmen, zu ihm nach Tunis zu reisen und zu bleiben, solange ich wollte.
    Am liebsten wäre ich darauf eingegangen, hätte ich eingewilligt.
    Nach dem Anruf, der mir gutgetan hatte (Maximes Zuneigung plus die Beruhigungsmittel hatten meinen Bauchschmerz besiegt), versuchte ich ein wenig Klavier zu spielen, legte die Platte eines flämischen Ensembles für Alte Musik auf, lauschte bei Josquins Motette
Quando natus est
hingerissen der Sopranstimme von Renée Kartodirdjos, die mich jedoch nicht aus meinen Gedanken reißen konnte, schaute
Seven men from now
, schaute ohne etwas zu sehen, da mein Geist durch Gefilde schweifte, die von anderen, aber ebenfalls gewalttätigen, sich gegenseitig niedermetzelnden Männern bevölkert waren.
    Können die Füße in ihren Schuhen auf ihre eigene Weise Nervosität verraten, ähnlich wie die Hände an der Luft? Jedes Mal wenn ich aufstand, hatten sich, auf mir unerklärliche Weise, meine Schnürsenkel gelöst, was mir gleich zweimal hintereinander auffiel, weil ich beinahe auf die Nase geflogen wäre. Um acht Uhr band ich sie nicht wieder zu, sondern zog die Schuhe aus, warf mich angezogen aufs Bett in meinem gemütlichen und ruhigen Schlafzimmer und schlief bis dreizehn Uhr.
    Den Nachmittag verbrachte ich am Telefon. Ich musste wohl alle Leute aus meinem Adressbuch angerufen haben, die meines Erachtens zu meinem näheren Umfeld gehörten, und darunter einige Familienmitglieder, die noch in meiner Geburtsstadt lebten, um festzustellen, was ich nur zu gut wusste: Ich war allein in meinem seltsamen inneren Kerker, an dessen Tür ich seit unvordenklichen Zeiten vergeblich rüttelte – dabei besaß ich einen Schlüssel, aber die Tür hatte wohl kein Schloss, genau das war es, ich hatte den Schlüssel zu einer Tür ohne Schloss.
    Schließlich ging ich hinaus, um Einkäufe zu erledigen. In der Apotheke kaufte ich mir einen Rasierpinsel, den teuersten, den sie hatten, mit meinem alten war ich nicht mehr zufrieden. Den neuen probierte ich gleich bei meiner Rückkehr in die Wohnung aus. Merkwürdigerweise fand ich ihn zu weich, da ich es offenbar schon gewohnt war, mir die Wangen mit den Supermarkt-Rasierpinseln zu zerstechen, am ersten Tag versehrt man sich noch das Gesicht mit den stählernen Borsten, doch tags darauf fallen dieselben schlecht geklebten Borsten ab, und weg sind sie. Äußerst sanft, der Neue, aber auch äußerst wirkungsvoll, ich war mit meiner Anschaffung hochzufrieden. Halb verhungert schlug ich mir beim Abendessen den Bauch voll. Ich machte mir Kartoffeln und Würstchen, wobei ich derart durcheinander war, dass ich mir ein Stück Papier und einen Kugelschreiber nehmen musste, um aufzuschreiben, wann ich den einen und wann den anderen Topf ausschalten musste, je nachdem, zu welchem Zeitpunkt ich sie aufgesetzt hatte, und ich dennoch die Glanzleistung vollbrachte, mich zu irren, »um zwanzig Uhr schalte ich die Würstchen aus, um zwanzig Uhr zehn die Kartoffeln« (oder doch umgekehrt? Tatsächlich war es umgekehrt) – was auch damit zusammenhing, dass ich es hasste, Lebensmittel beim Kochen zu kosten, um zu sehen, wie weit sie waren, Nudeln zum Beispiel, oder noch harte Artischocken – so was von heiß!
    Qualvolle Stunden. Die vorangegangene Nacht hatte mir einen Schicksalsschlag zuviel verpasst. Und diese Nacht sollte Einfluss auf den weiteren Verlauf meines Lebens nehmen, da sie der Grund für mein Ausscheiden aus dem Institut Benjamin war, und hier nun das wie und warum.
    Zwei Wochen nach Maynials Tod beschäftigte sich ein Wochenmagazin der Kategorie Schundblättchen,
Die letzte Meldung
, mit der Angelegenheit (obwohl es sich zuvor nicht damit befasst hatte) und erwähnte im Gegensatz zur restlichen Presse ein weiteres Element. Die Polizei hatte am Abend des Selbstmords, und zwar im Haus von Hubert Maynial (woher hatte es die

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