Gesetzlos - Roman
Marie wohnte, eine angenehme Gasse zwischen der Rue des Ursulines und der Rue des Feuillantines, die zur Rue Saint-Jacques führte), in die Nummer 8 hineingehen, das Stockwerk hinaufsteigen, eilig den Schlüssel herumdrehen – kein Licht im Innern, niemand im Wohnzimmer, noch im Arbeitszimmer, noch im Bad – blieb nur das Schlafzimmer, in das ich eintrat: Es war leer, Marie lag nicht in ihrem Bett, sie war nicht zu Hause, unendliche Hoffnung durchströmte mich. Doch dann schrillte in mir eine Alarmglocke (die für meinen Geist völlig überraschend kam und ihm schwer zusetzte, nachdem er eben noch in den wohligen Kokon absoluter Gelassenheit geschlüpft war), warum, weil es in dem Raum zu dunkel, ein kleines bisschen zu dunkel war. Sicher, es war der 26. Januar, der Tag neigte sich – aber die Uhr- und Jahreszeit waren nicht dieeinzige Erklärung – es war zu dunkel! Also wandte ich den Kopf nach links zum Fenster. Das schwache Tageslicht sickerte nur spärlich herein, weil Maries Körper es daran hinderte. Ich sah, dass ihre Füße den Boden nicht berührten. Und so folgte in mir auf unendliche Hoffnung nur noch der Hoffnung Tod.
In der Mitte des kleinen Salons lagen quasi ineinandergeschlungen zwei leblose Körper, die Leiche von Maxime und die eines etwa fünfzigjährigen Mannes mit kurzem blonden Haar, starker Körperbehaarung und einem blauen Anzug – bei dem Kampf, den sie sich geliefert hatten (und dessen Verlauf sich mühelos rekonstruieren ließ), hatte sich ein Hosenbein hochgeschoben und entblößte nun in abstoßender Weise seine stark behaarte Wade mit den hellen krausen Härchen. Um seinen Hals waren noch immer Maximes Hände geklammert. Maxime hatte ihn tatsächlich erwürgt, ihn trotz der Schüsse, die der andere abgefeuert hatte, nicht mehr losgelassen!
Ihre Gesichter waren zu Todesfratzen erstarrt.
Das von Maxime war blutüberströmt. Die ersten beiden Kugeln hatte er in den Oberkörper bekommen, und zwar in Brust und Bauch, wie man aus den Flecken auf seiner Kleidung und der widerlichen Blutlache am Boden schließen konnte, die für sein verströmtes Leben standen, und als weiteres Symbol für seinen Tod erschien mir sein zerzaustes Haar (noch nie hatte ich seine Haare in solcher Unordnung gesehen) um das von einer dritten Kugel getroffene Gesicht, wobei das Geschoss, ein kaum aussprechliches Detail, sich durch das rechte Auge gebohrt hatte, bevor es im Hirn stecken geblieben war – das war die dritte und letzte Kugel, die der sterbende Feind vermutlich im Moment seines Todes durch Erwürgen abgefeuert hatte, denn sein Gesicht war rot angelaufen und ein Drittel seiner abgebissenen Zunge hing ihm aus dem Mund.
Ich wurde von einem Entsetzen gepackt, das mich aller Kraft beraubte.
Es herrschte absolute Stille.
Auf Maximes Schreibtisch stand ein geöffneter grüner Aktenkoffer (mit einem Deckel von etwas dunklerem Grün), der mit sorgfältig übereinander gestapelten Geldbündeln gefüllt war.
Neben dem Aktenkoffer ein bis obenhin mit Kippen gefüllter Aschenbecher. Maxime rauchte, manchmal sogar ziemlich viel, aber ich hatte noch nie einen so vollen Aschenbecher bei ihm gesehen. Hatte er erst in Gegenwart des verräterischen Juristen so viel geraucht, oder schon davor, aus Angst vor seinem Besuch?
Mit der Behutsamkeit eines Blinden bewegte ich mich durch den Raum, wobei ich mit der Hüfte einen Sessel und mit dem Knie den Atohm X 300 Subwoofer rammte, über dessen Anschaffung Maxime so zufrieden gewesen war, und tastete mich vor bis zu meinem toten Freund. Ich vermied es, sein verunstaltetes, entstelltes Gesicht anzusehen, das nun allen Ebenmaßes beraubt war. Aber ich empfand keinen Ekel – bloß der Geruch des Bluts drehte mir den Magen um –, während mich die scheußliche Fratze und die heraushängende, abgebissene Zunge des erwürgten Mörders mit tiefer Abscheu erfüllten. Wer war dieser Mann, woher kam er, welche dunkle und fluchbeladene Geschichte hatte ihn zu Maxime geführt, um seine Missetat zu begehen?
Ich griff nach Maximes Handgelenk, jenes, an dem das Cordoba-Armband hing.
Tot, tausendfach tot.
Alsdann gehorchte ich ihm aufs Wort …
Noch ganz benommen von dem grausigen Anblick und von meinem Kummer dachte ich an nichts anderes, als an die Worte, die er zu mir gesagt hatte und die plötzlich in mir widerhallten, als würde ich sie gerade selbst aussprechen, als wären sie der Ausdruck meines eisernen Willens und als würde ich mein eigenes Leben retten, indem ich
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