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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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Blicken zu entziehen, mich zu verstecken, um wer weiß welcher Bedrohung durch die Polizei oder etwas anderes zu entkommen. (Hatte der Angreifer der Nummer 3 im eigenen Auftrag gehandelt, so wie Maxime es »beschrieben« hatte, oder bestand die Gefahr, dass von einer Sekunde auf die andere ganze Horden von Helfershelfern in die Sackgasse einfallen würden?) Die offene Tür stellte also eine willkommene Aufforderung an mich dar, einzutreten und Schutz zu suchen. Ja, aber wies die Tatsache, dass sie offen stand, nicht darauf hin, dass sich jemand im Innern befinden musste? Nein, denn da hing ja der Brief. Ein so angebrachter Brief bewies natürlich nicht, dass das Haus leer sein musste, aber wenn man meiner derzeitigen Logik folgte (und für einen Moment die angesichts der tieferen Logik meiner Überlegungen vergleichweise zufällige Tatsache außer Acht ließ, dass die Tür offen und nicht geschlossen war), konnte man das durchaus annehmen. Es gibt wahrhaftig nur wenige Gründe (es gibt zwar welche, aber wirklich wenige) jemandem, den man erwartet, einen Brief zu schreiben und ihn an die Tür zu hängen, wenn man selbst im Hause ist. So etwas tut man eher, wenn man ausgegangen ist – und aus Versehen oder aus Zerstreuung vergessen hat, die Tür zu schließen. Und noch weniger Gründe gibt es, einen Brief, der für einen bestimmt ist, hängen zu lassen: Man kommt an, sieht ihn, liest ihn, nimmt ihn ab und geht hinein (wobei man die Tür hinter sich schließt oder auch nicht).
    Keiner im Haus? Also konnte ich hineingehen.
    Es sei denn, die Lektüre des Briefes (denn es war ein Brief, wenn auch kurz, wie ich beim Hinaufsteigen der zehn Treppenstufen bemerkte, und nicht einer dieser Hinweise, die man manchmal an einer Tür sieht: »Der Schlüssel ist an der üblichen Stelle«) würde die Stichhaltigkeit meiner Schlussfolgerungen insWanken bringen, doch das würde sich in wenigen Sekunden herausstellen.
    Sie brachten sie nicht ins Wanken, ganz im Gegenteil:
    »Clara, mein Schatz,
    ich verlasse das Haus.
    Wenn du von Mireille Bel zurückkommst, werde ich nicht mehr auf der Welt sein.
    Ich werde die ganze Ewigkeit haben, um für den Kummer, den ich dir bereite, und die anderen Dinge, die ich dir angetan habe, zu büßen.
    Bitte keine Reue, es gab keinen anderen Ausweg, das versichere ich dir.
    Ich flehe dich an, verzeih mir.
    Dein Dich liebender Onkel,
    Michel«
    So hatte der Tod, auf seinem Spaziergang durch die Impasse du Midi auch das Haus in der Nummer 1 heimgesucht!
    Erneut herrschte absolute Stille, abgesehen von Maximes Stimme in mir, die mir ununterbrochen diktierte, was ich zu tun hatte.
    Ich nahm den Brief, trat über die Schwelle, schloss die Tür hinter mir und schob den Riegel vor. Wenn wirklich die Polizei in der Umgebung herumschnüffelte und auf die ein oder andere Weise über die Ereignisse, die sich in der Nummer 3 abgespielt hatten, im Bilde war, würde sie zu Maxime gehen, vielleicht einen Blick in den Park der Nummer 1 werfen, aber nicht (zumindest nahm ich das an) in das Haus der Nomens einbrechen.
    Meine Aufmerksamkeit wurde unmittelbar auf ein großes Portrait gelenkt, das über einem Klavier hing. Es stellte eine junge Frau dar, deren Schönheit den Betrachter blendete, die mehr als schön war, anders als schön, eine junge Frau, von der ich nur mit Mühe den Blick abwenden konnte: Clara, die Nichte von Onkel Michel? Wenn dies zutraf, erwartete die Unglückliche eine böse Überraschung bei der Rückkehr nach Hause. »Wenndu diese Zeilen liest«, hieß es im Brief. Wann wäre das? Könnte Clara Nomen von einer Stunde auf die andere auftauchen oder erst am Abend, am nächsten Morgen? Von einer Sekunde auf die andere?
    Trotzdem beschloss ich, nicht auf der Stelle wieder zu gehen. Ich fürchtete mich vor der Welt dort draußen. Es war für mich unvorstellbar, ohne Schutz diese Gasse entlangzulaufen.
    Stille, noch immer.
    Ich legte den Brief auf den Marmortisch, auf dem er geschrieben worden war, neben einer Fenstertür, ich sah den Stift, den Block Papier und die offene Schachtel mit den bunten Reißzwecken.
    Atemlos ließ ich mich in einen Sessel fallen.
    Maxime, tot, für immer aus dieser Welt verschwunden!
    Eine Million Euro in einem Aktenkoffer – denn ich war mir sicher, dass er diese Summe enthielt, dass ich beim Nachzählen diese Summe vorfinden würde, auf den Cent genau …
    Ich befand mich in einem riesigen Raum. Was für ein Luxus! Fast genauso wie bei Maxime! Kein Möbelstück, kein

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