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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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Gegenstand, und sei er noch so klein, der nicht ein Vermögen gekostet hätte, der Stift auf dem Tisch, der Tisch selbst, der Samtsessel, auf dem der Autor dieser Zeilen gesessen hatte – da erkannte ich zwischen zwei Fenstern ein kleines Gemälde von Galien-Laloue, oder eines das von Galien-Laloue hätte sein können, wenn der Ausschnitt der dargestellten Stadt nicht vollkommen menschenleer gewesen wäre –, an der Decke ein gigantischer Kronleuchter aus Glas, der mir in meinem panischen und erschöpften Zustand wie ein anderer Planet erschien, nah genug an der Erde, um darauf tausend Reliefs zu erkennen, die aus Eis geschnitzt zu sein schienen – der Stutzflügel, dessen schwarzer Lack nur darauf zu warten schien, dass ihn ein Hauch Licht zum Funkeln brächte – und immer wieder kehrte mein Blick zu dem Portrait der schönen jungen Frau zurück.
    Ich atmete tief durch.
    Die Faust, die meinen Magen in der Mangel hatte, löste langsam die Finger.
    Die Säfte zirkulierten wieder frei in meinem Körper.
    Ja, ich fühlte mich an diesem Ort geschützt, wie ein Fuchs in seinem Bau, geschützter als ich angenommen hätte – gewissermaßen vor Maximes Tod geschützt, davon abgehalten, wirklich an seinen Tod zu glauben.
    Die orangene Farbe der Vorhänge war sanft, beruhigend.
    Ich stand auf und ging auf das Portrait zu. Der Maler war der Autor des Briefes, das große, prachtvolle Gemälde trug rechts unten seine Unterschrift. Links stand: »Clara, 3. Mai 2008«. Fasziniert von den zahlreichen Reflexen dieses Haars, das Maxime nie vergessen hatte, von den grünen, blau-grünen Augen, von dem ernsten Kinderblick, von dem köstlichen Hauch eines Lächelns, von dem Gesicht, das anders war als alle anderen Gesichter, verharrte ich staunend vor dem Gemälde.
    Dann setzte ich mich wieder hin, wobei ich mich fragte, ob nicht irgendein Polizist gerade dabei war, sich genau in dieser Minute mein Autokennzeichen zu notieren, um den Besitzer ausfindig zu machen. Ich komme ans Auto, treffe auf ihn. Und dann? Ich hatte in der Gegend eine Verabredung um fünfzehn Uhr mit meinem Freund Monsieur Maxime Voutand-Bersot, niemand hat auf mein Klingeln reagiert, er war noch nicht zurück, also gut, ich habe selbst noch eine Runde in dem Viertel gedreht, in der Absicht, später wiederzukommen … wo war das Problem?
    Ich legte den Aktenkoffer auf die Knie und zählte die Geldbündel: eine Million Euro (eine Summe, von der ich gedacht hätte, dass sie einem größerem Volumen an Scheinen entspräche, doch dem war nicht so, Behältnis und Inhalt waren perfekt aufeinander abgestimmt), eine Million Euro – sauber, weiß, so wie Maxime vorausgesagt hatte …
    Ich würde zurück nach Hause gehen und dabei gut achtgeben.
    Bevor ich auf brach, stieg ich hinauf in den ersten Stock, in der Hoffnung durch eines der Fenster und trotz der Bäume ein paar Meter von der Impasse de Midi zu überblicken. Bei den ersten vier Zimmern im oberen Stockwerk war ich erfolglos. Vom fünften aus, dem Atelier des Malers, konnte ich immerhin durch ein breites Fenster zwischen Eichen und Pappeln die leere Sackgasse sehen, was nicht viel hieß, aber es war immer noch besser, als wenn sie schwarz vor Polizeimützen gewesen wäre.
    Ich drehte mich um und erblickte drei weitere Portraits von Clara, die sehr schön waren, jedoch nicht dieselbe unmittelbare Magie des Bildes im Erdgeschoss auf den Betrachter ausübten. (Auf zweien von ihnen spielte sie Klavier.) Das letzte Werk des Malers, das noch auf einer Staffelei in der Mitte des Ateliers stand, stellte eine Art trostlose Landschaft dar, ein Stück von der Erde, die sich in einem frühen Stadium ihrer Entstehung im Universum befunden haben könnte, oder kurz vor ihrem Ende durch Verödung.
    In einer Ecke des Raums stand auf einem Tisch ein altes Modell eines schönen großen schwarzen Telefons.
    Ich zuckte zusammen: Es begann genau in dem Moment zu läuten, da mein Blick darauf fiel.
    Nach sechsmaligem Klingeln sprang der Anruf beantworter an. Und, da der Maler offenbar die Angewohnheit gehabt hatte, den Lautsprecher auf eine gut hörbare Lautstärke zu stellen, damit er, wie ich mir dachte, seine Arbeit nur unterbrechen musste, wenn er es für nützlich hielt abzuheben, hörte ich – weitere Überraschung, weiteres Zusammenzucken – die Stimme des Anrufers. Und was diese Stimme sagte, stürzte mich noch tiefer in die Hölle der grausigen Überraschungen, die das Schicksal seit Cathy Maynials Tod offenbar gleich

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