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Gesetzlos - Roman

Gesetzlos - Roman

Titel: Gesetzlos - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Matthes und Seitz Verlag GmbH
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mich ihm beugte. Ich denke auch, dass diese Tat, diese Flucht aus der Welt meiner Gedanken, mir erlaubte, mit Maximes Tod irgendwie umzugehen, beziehungsweise ihn mir vom Leib zu halten – dies galt auch noch am späterenNachmittag und für diesen ganzen verfluchten Tag bis zum Einbruch der Nacht –, eine Flucht vor mir selbst, die in so unglaubliche Irrfahrten und Aufgaben mündete, dass ich zu der Stunde, in der ich mich anschicke, von den unerhörten Ereignissen zu berichten, selbst kaum glauben kann, dass ich der gesetzeswidrige und tapfere Held dieser Geschichte gewesen sein soll.
    Meine erste Handlung (die offenbar alle weiteren Handlungen in ihrer Unabwendbarkeit bedingte) bestand darin, den Deckel des Aktenkoffers zuzuschlagen.
    Und mit diesem Aktenkoffer in der Hand trat ich aus dem Raum, schloss, keine Ahnung warum, vorsichtig und sorgfältig die Tür hinter mir, verließ das Stockwerk, das Haus, ging dann hinaus in den Park und steuerte wie ein Geist auf die kleine Gittertür und mein Auto und einen Regenbogen in der Ferne zu, der vergeblich versuchte, Gestalt anzunehmen – als ich das Geräusch von Polizeisirenen oder eines Krankenwagens oder irgendeines anderen Rettungsfahrzeugs hörte, ich weiß nie welche, aber hätte ich eine Wette abschließen müssen, so hätte ich gesagt, Polizeisirene.
    Die Polizei in diesem Viertel, um diese Zeit!
    Als ich die Gittertür erreichte hatte, zog ich sie nicht zu, überquerte auch nicht den Bürgersteig mit drei großen Schritten, um in meinen Lancia zu steigen und in Windeseile aus der Sackgasse zu verschwinden, auch wenn ich große Lust dazu verspürte, sondern warf einen kurzen Blick auf die andere Seite der virtuellen Parkgrenze, gerade lang genug, um am Ende der Impasse du Midi tatsächlich ein Polizeiauto zu erblicken (wie üblich in seinem wachsamen, dümmlichen Schritttempo, seinen plumpen Formen und Farben und einer Aufschrift wie bei einem großen Kinderspielzeug). Es fuhr die Rue de l’Église entlang, machte aber keine Anstalten, in die Sackgasse einbiegen oder halten zu wollen.
    Das Auto verschwand.
    Und ich hörte keine Sirene mehr. Warum? Wurde das Viertel abgesperrt? Die Angst lähmte meine Beine, obgleich die Gefahrerfordert hätte, dass ich sie in die Hand nahm. Aber um wohin zu laufen? In dem Lancia zu türmen, war ebenso unmöglich, wie zum Schauplatz des Albtraums zurückzukehren!
    Also was tun?
    Erst einmal mich im Park der Nummer 1 verstecken, indem ich durch die Hecke schlüpfte, die die beiden Grundstücke voneinander trennte, jene Hecke, an der wir bei unseren Spaziergängen schon so oft entlanggekommen waren, Maxime und ich – ich erinnerte mich an eine Bresche in dem dichten Grün, durch die man gewiss leicht hindurchschlüpfen konnte. Zwischen der Stelle, an der ich stand, und dem Durchschlupf, von dem ich spreche, lagen vielleicht hundert Meter, ja, hundert Meter, die ich darauf hin
mit schwachen, doch emsigen Schritten
zurücklegte (um den Autor Johann Rist zu zitieren, der 1641 jenes Liedes geschrieben hatte, das Bach 1724 mit der Kantate BWV 78 vertonen sollte). Nachdem mir die anstrengende und sogar gefährliche Überquerung des hohen, stabilen Zauns erspart geblieben war, schlich ich mich wie ein Unsichtbarer durch die Hecke und setzte meine Flucht ohne jede Anmut fort, auch auf die Gefahr hin, Maximes Nachbarn anzutreffen. (Was sollte ich in dem Fall sagen, welche Geschichte würde ich erfinden?)
    Ich glaubte, erneut die Polizeisirene zu hören. Ja, ich hörte sie, als würde sie eigens dazu ausgelöst, mich zu ermuntern, mein unsinniges Unterfangen fortzusetzen – und in der Tat beschleunigte ich meine Schritte, so wie ein Hund, den man verjagt, indem man in die Hände klatscht, und der sich nach wenigen Metern verleiten lässt, langsamer zu werden und sich umzudrehen, um die Situation besser einschätzen zu können und vielleicht wieder kehrt zu machen, der aber bei erneutem Klatschen noch hurtiger Reißaus nimmt.
    Ich erreichte das Haus der Nomens (das sich mit seinen zahlreichen Bögen in der majestätischen Fassade vom Nachbarhaus völlig unterschied) und war beunruhigt, als ich eine weit offen stehende Tür und ein auf diese Tür geheftetes Blatt Papier erblickte.Ein Brief, der an einer geöffneten Tür hing? Mein Verstand erkannte hier ein Rätsel, dem es sofort auf die Spur zu kommen galt – warum? Weil er darin die erhoffte Rettung vermutete. Worin? Nun, was war in dieser Sekunde mein sehnlichster Wunsch? Mich den

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