Gesicht im Schatten: Idylle - Stalking - Mord
oder
Vollkasko-Versicherung habe ich nicht. Vermutlich gehe ich also völlig leer
aus. So ein Mist – ich glaub’s einfach nicht. Und als wenn das alles noch nicht
schlimm genug wäre, das Auto ist noch in der Finanzierung. Alles meine Schuld,
das weiß ich wohl. Ich blöde Kuh. Wie konnte ich mich nur auf eine so riskante
Finanzierung einlassen. Das habe ich jetzt davon. Es ist noch eine
Wahnsinnssumme offen. Ich darf gar nicht darüber nachdenken.“
„Oh je,
das wird ja immer schlimmer und leider muss ich dich gleich auch wieder
verlassen. Ich muss noch ein paar Stunden schlafen, habe morgen wieder einen
anstrengenden Tag vor mir. Kann ich dich denn überhaupt allein lassen?“
„Ja, ist
schon in Ordnung“, antwortete ich pflichtgemäß, obwohl gar nichts in Ordnung
war. An Schlaf war für mich in dieser Nacht nicht mehr zu denken, und nach dem
schrecklichen Erlebnis von Freitagabend war ich nun doppelt geschädigt.
Eigentlich
hätte ich jetzt aufstehen müssen, um ihm damit den Aufbruch zu erleichtern,
aber ich musste noch reden, wollte ich nicht später Selbstgespräche führen.
„Sag mir
doch mal, was geht denn in so einem Menschen vor. Okay, dass er krank im Kopf
ist, liegt ja wohl auf der Hand, aber was treibt ihn an? Was war der Auslöser?
Also, ich kapiere das wirklich nicht.“ Ich hatte die Knie wieder unters Kinn
gezogen, beide Arme um die Unterschenkel gelegt und ich konnte nicht aufhören
mich hin und her zu wiegen.
„Tja, ich
bin da vermutlich der völlig Falsche, den du so etwas fragen kannst. Denn ich
kenne den Mann doch überhaupt nicht. Aber vielleicht war er früher
weitestgehend normal und irgendein Ereignis hat ihn so aus der Bahn geschmissen,
dass er dabei den Verstand verloren hat. Versteh mich bitte nicht falsch, ich
bin voll und ganz auf deiner Seite. Aber überleg mal, vielleicht hat er die
Kontrolle über sein Leben verloren, vielleicht hatte er mal Familie, die er
voll unter seiner Kontrolle hatte. Die haben sich dann irgendwann von ihm
abgewandt, haben jeglichen Kontakt abgebrochen, vielleicht ist seine Frau
weggelaufen, das alles weiß ich natürlich nicht. Aber jetzt gehörst du ihm und
er hat offenbar beschlossen, dass du nun sein neues Objekt nicht nur der
Begierde bist, sondern auch sein neues Kontrollobjekt. Um es auf einen kurzen
Satz zu bringen Wenn du in deinem Leben die Kontrolle über andere verloren
hast, dann suchst du dir jemand neuen, den du kontrollieren kannst . Hab ich
mal irgendwo gelesen“, erklärte Michael.
„Ach, hör
doch bloß auf. Du machst mir richtig Angst. Das hört sich für mich so an, als
wäre ich diesem Mistkerl für den Rest meines Lebens ausgeliefert. Ich werde
noch verrückt.“
„Tut mir
Leid, Susanne. Ich wollte dich nicht unnötig aufregen. Komm mal her, lass dich
noch mal drücken, ich muss jetzt nämlich wirklich langsam gehen.“
Michael
nahm mich in den Arm. Ich löste mich kurze Zeit später von ihm, um ihn zur Tür
zu begleiten.
„Vielen,
vielen Dank, dass du gekommen bist. Ich hätte nicht gewusst, was ich ohne dich
gemacht hätte.“
Ich
umarmte ihn noch einmal vorsichtig.
„Mach du
es gut. Versuch ein wenig zu schlafen, wenn du kannst. Und wenn du Hilfe
brauchst, dann ruf mich an – jederzeit.“
Wir
verabschiedeten uns, ich schloss die Tür hinter ihm, ging ins Bad und ließ ein
wenig Wasser in den Zahnputzbecher laufen. Ich klappte den Toilettendeckel
runter und nahm noch eine Valiumtablette aus dem Toilettenschränkchen. Ich
setzte mich auf die geschlossene Toilette, in der rechten Hand die Tablette und
in der linken Hand den Zahnputzbecher. Was hatte Michael da eben gesagt. Jemand
verliert die Kontrolle über sein Leben, die Familie, vielleicht sogar Freunde
und Bekannte wenden sich ab und dann dreht derjenige durch. Komisch, da passte
etwas gar nicht zu Herrn Krautmann. Hatte er nicht erst kürzlich ausgiebig von
seinen Kindern erzählt, die er besucht hatte und die seinen Hund mit
Süßigkeiten so verwöhnt hatten. Was mit seiner Frau war, wusste ich nicht. War
sie früh gestorben oder hatte sie ihn verlassen? Ich bin keine Psychologin,
aber irgendwie passte die Beschreibung nicht auf Herrn Krautmann. Aber wer
sollte es sonst sein. Er hat freien Blick auf meine Wohnung, er hat alle Zeit
der Welt, sich sowohl auf die Lauer zu legen, als auch diese ekelhaften Briefe
zu schreiben. Zu den Briefen fiel mir noch etwas ein. Wieso bekam ich seit
neuestem nur noch Kopien von seinen handgeschriebenen Briefen? Was
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