Gesicht im Schatten: Idylle - Stalking - Mord
Auch Markus war so tief eingesunken, dass er
wie eine Schildkröte mit den Beinen strampelte, um wieder Boden unter die Füße
zu bekommen.
Frau Semmler kam mit einer
silbernen Thermokanne zurück ins Wohnzimmer, offensichtlich immer noch ganz
beseelt von ihrem Besucherglück.
„Ich hoffe, Sie sitzen bequem,
ich liebe diese Couch und könnte mich nie von ihr trennen. Wissen Sie, die habe
ich zusammen mit meinem Mann vor genau 25 Jahren gekauft. Wir hatten uns beide
auf der Stelle in sie verliebt. Leider ist mein Mann dann ein paar Jahre später
gestorben. Seitdem liebe ich diese Couch noch mehr. Meine Herren, darf ich
Ihnen Kaffee einschenken? Mit Milch und Zucker bedienen Sie sich bitte selbst.“
Sie goss den beiden Kaffee ein
und schenkte am Schluss auch sich selbst ein.
Bei Befragungen übernahm Stefan
die Wortführung. Markus lehnte sich unauffällig in die tiefen Kissen zurück und
verschwand fast völlig in den Polstern. Im Stillen hoffte er darauf, dass
Stefan ihm später behilflich sein würde, aus den Fängen der weichen Watte zu
entkommen.
Frau Semmler konnte sich nun
ganz auf den einen Kommissar konzentrieren.
„Vielen Dank, Frau Semmler, Sie
verwöhnen uns ja richtig“, sagte Stefan in seiner galanten Art.
Ein scheues Lächeln huschte
über Frau Semmlers Gesicht.
„Stört es Sie, wenn ich mein
Diktaphon einschalte, um das aufzunehmen, was Sie uns über Ihre Nachbarin
erzählen?“
„Oh nein, Sie tun ja nur Ihre
Pflicht. Aber viel wird es nicht sein, was ich Ihnen erzählen kann.“
„Fangen Sie doch einfach mal
an. Wie kommen Sie darauf, dass Ihre Nachbarin verschwunden ist. Hatten Sie ein
so enges Verhältnis? Erzählen Sie mal, was sie uns über Frau Vávrová sagen
können. Egal, was es ist. Es kann alles für uns von Bedeutung sein.“
„Ja, also vielleicht fange ich
mal von vorne an, damit, dass sie im Januar dieses Jahres eingezogen ist.
Wissen Sie, vorher hatte in der Wohnung ein alter Mann gelebt. Bis die Wohnung dann
wieder renoviert war hat es schon so zwei Monate gedauert. Ja, und dann kam
sie. Ich fand sie gleich sympathisch. Kennen Sie das, wenn Sie einem Menschen
das erste Mal begegnen und Sie wissen sofort, dass der Mensch Ihnen gefällt?
Also, so war es auf jeden Fall mit Frau Vávrová. Wir treffen uns sonst immer
mal wieder im Treppenhaus aber nun habe ich sie schon seit über einer Woche
nicht mehr gesehen, hoffentlich ist ihr nichts passiert.“
Stefan fiel sofort auf, dass
Frau Semmler den Zeitungsaufruf wegen der Frauenleiche offenbar nicht gelesen
hatte.
„Wie würden Sie den Ihr
Verhältnis zu Frau Vávrová beschreiben. Haben Sie sich regelmäßig besucht?“
„Oh nein, für regelmäßige
Besuche hätte sie gar keine Zeit gehabt. Wissen Sie, sie könnte ja meine
Tochter sein. Noch so jung und hatte immer so viel vor. Sie ging an drei
Abenden in der Woche in die Volkshochschule. Was sie da genau gelernt hat, das
weiß ich nicht. Sie hat mir einmal von einem Deutschkurs erzählt und als
Erklärung dazu gesagt ‚Ich will eine gute Deutsche werden, dazu muss ich erst
einmal die Sprache lernen’. Sie ist immer so voller Elan und Begeisterung.“
„Wissen Sie welche Nationalität
Frau Vávrová hat? Ich vermute, sie stammt aus einem osteuropäischen Land“,
fragte Stefan.
„Sie ist Tschechin und ihre
Familie wohnt in Prag. Sie hat mir einmal Bilder von ihren Eltern, ihrem
jüngeren Bruder und ein paar Bilder von der Stadt Prag gezeigt. Seitdem nehme
ich mir immer wieder vor, einmal ins Reisebüro zu gehen und eine Reise nach
Prag zu buchen. Es muss wunderschön dort sein.“
„Wissen Sie auch wie alt Frau
Vávrová ist und haben Sie vielleicht ein Foto von ihr, oder wissen Sie wo wir
in ihrer Wohnung Fotos finden können?“
„Da brauchen Sie gar nicht mehr
in ihre Wohnung zu gehen. Ich habe ein Foto von ihr. Sie steht an eine Laterne
lehnend auf der Karlsbrücke in Prag. Sie hat es mir geschenkt, weil ich so
begeistert von den Aufnahmen der Stadt war. Und was ihr Alter angeht, kann ich
Ihnen leider nichts Genaues sagen. Ich schätze, dass sie Ende Zwanzig oder
Anfang Dreißig ist. Aber die jungen Dinger heutzutage kann man gar nicht mehr
schätzen, sie sehen oftmals viel älter aus. Von daher gesehen, ist sie
vielleicht auch erst Anfang Zwanzig. Tut mir Leid, dass ich Ihnen da nicht
helfen kann.“
Frau Semmler stand auf und ging
an den großen Wohnzimmerschrank. Sie öffnete eine Tür der Glasvitrine, nahm ein
Foto heraus und gab es
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