Gespenster Kuesst Man Nicht
viel schwerer fallen, einen Geist zu sehen. Es ist immer besser, den Basistest und die Erkundung im Dunkeln durchzuführen.«
»Und wie sehen wir etwas?«, fragte Steven und spähte angestrengt in den finsteren Korridor.
»Deine Augen werden sich daran gewöhnen. Heute haben wir Vollmond, und es hat ein bisschen aufgeklart, das erleichtert das Ganze. Und wenn es dir total auf die Nerven geht, schalte deine Taschenlampe an.«
Ich stellte meinen Matchsack ab und packte die Ausrüstung aus. Nacheinander drückte ich Steven ein Elektrofeldmeter, ein Wärmebildgerät und die Nachtsichtkamera in die Hand.
»Halt, ich habe nicht genug Hände«, erklärte er, während er alles unterzubringen versuchte.
»Schalte das Elektrofeldmeter an und steck es dir in die Hosentasche«, riet ich. »Dann nimm die Kamera in die eine Hand und das Wärmebildgerät in die andere.«
»Und wie soll ich die Ergebnisse des Basistests aufschreiben?«
»Das kann ich machen.« Ich nahm das Schreibbrett aus der Tasche. »Du brauchst nur die Geräte in die richtige Richtung zu halten, wenn ich es dir sage.«
»Wo fangen wir an?«
»Zuerst brauchen wir die Maße«, sagte ich. »Während du vorhin mit Gil das Geschirr abgewaschen hast, habe ich schon mal aus dem Gedächtnis einen groben Grundriss des Flügels gezeichnet. Von dem Korridor gehen offenbar sechs Räume ab. Ist eigentlich logisch – für die erste bis sechste Klasse.«
»Ich nehme an, du willst den Korridor und die Zimmer ausmessen?«
»Jep.« Ich reichte ihm das Ende des Maßbands – »Halt mal!« -und ging den Korridor entlang. Wir maßen ihn der Länge und Breite nach aus, und ich schrieb die Ergebnisse in meine Zeichnung. »Okay, jetzt die Zimmer.«
Wir begaben uns in das Klassenzimmer, wo die Tischpyramide gestanden hatte. Während Steven in der Ecke das Maßband hielt, ging ich die Wand entlang zum Fenster. Durchs Headset hörte ich Gil leise einen ABBA-Song mitsingen.
»Und, wie geht’s da draußen, Mamma mia?«
»Lang-weilig«, sang er auf Dancing Queen. »Mir ist so lang-wei-lig.«
Ich lachte. »Wie ist die Datenübertragung?« Dann winkte ich Steven in die gegenüberliegende Ecke. Er stellte das Wärmebildgerät auf einem Tisch ab und schlängelte sich, das Ende des Maßbands in der Hand, zwischen den Stühlen hindurch.
»Sieht alles gut aus«, sagte Gil. »Auf deinem Elektrofeldmeter hab ich gerade ’ne kleine Spitze. Stehst du neben einer Steckdose?«
Ich sah an der Wand hinab, und ja, da war tatsächlich eine Steckdose. »Steckdose positiv«, sagte ich. »Ich geh da weg, sobald Steven mir die Wandlänge angibt.«
»Vier Meter dreißig«, sagte Steven und schaltete seine Taschenlampe aus.
»Äh … M. J.?«, sagte mir Gil ins Ohr.
»Wart mal, Gil, ich muss das aufschreiben.« Das Maßband ungeschickt unter den Arm geklemmt, kritzelte ich die Zahl aufs Papier.
»Aber … das kann nicht warten, M. J.« Gil klang alarmiert.
Ich hörte auf zu schreiben und drückte mir das Headset dichter ans Ohr. »Was ist denn?«
»Ich will dich nicht erschrecken«, sagte Gil. »Aber zeigt Stevens Wärmebildkamera auf dich?«
Ich sah zu dem Gerät hin, das ich in dem schwachen Licht gerade noch auf dem Tisch ausmachen konnte. »Positiv.«
»Dann dreh dich vielleicht mal um.«
»Was ist los?«, fragte Steven und machte sich mit erhobener Nachtsichtkamera, um nirgends anzustoßen, zwischen den Tischen hindurch auf den Weg zu mir.
Ich antwortete nicht sofort, sondern drehte mich um und ließ verblüfft das Schreibbrett sinken. Draußen vor dem Fenster waren zwei kleine, verängstigte Gesichter zu sehen, die mich durch die Scheibe mit großen Augen anstarrten. Erschrocken machte ich einen Schritt rückwärts. Da verschwand einer der beiden kleinen Jungen. »Warte!«, rief ich ihm zu, aber er blieb verschwunden.
»Wow!«, rief Steven, der den anderen Jungen mit der Kamera erfasst hatte. »Ich kann durch ihn hindurchsehen!«
»Gilley, siehst du, was die Kamera sieht?«, fragte ich, die Augen ebenso weit aufgerissen wie der kleine Beobachter jenseits des Fensters.
»Tu ich!«
Langsam legte ich das Schreibbrett weg, ohne den Blickkontakt mit dem kleinen Geist aufzugeben. »Ich bin M. J.«, sagte ich zu ihm. »Ist dir hier etwas zugestoßen?«
Der Junge nickte.
»Wie heißt du, mein Junge?«
Eric, hörte ich klar und deutlich in meinem Kopf.
»Hi, Eric«, sagte ich freundlich. »Kannst du mir erzählen, was passiert ist?«
Der Mann mit dem Beil …
Abrupt verschwand
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