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Gespenster um Al Wheeler

Gespenster um Al Wheeler

Titel: Gespenster um Al Wheeler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carter Brown
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Formen
wurden durch ein hautenges Satinkleid unterstrichen, das, zusammen mit der
dicken Perlenkette, die sie um den Hals trug, halb zehn Uhr morgens fehl am Platz
schien. Vielleicht war das jetzt für sie der Ausklang einer geselligen Nacht,
oder sie hatte sich frühzeitig für eine Verabredung für den kommenden Abend
zurechtgemacht. Wie dem auch sein mochte, es war mir egal — im Zusammenhang mit
einem Burschen wie Martinelli ergab ihr Vorhandensein
einen eindeutigen, wenn auch nicht sonderlich interessanten Sinn.
    Das Vorhandensein des Burschen
namens Ed — der mit der kultivierten Stimme — schien hingegen keinerlei Sinn zu
ergeben: ein kleiner, dicker Mann mit grau werdenden Haarbüscheln, die aufs
Geratewohl über seinen glänzenden Schädel verstreut waren, einem tadellos
geschnittenen Anzug von Brooks Brothers und einem dazu passenden Ausdruck
völliger Gelassenheit auf seinem Gesicht. Aber irgend etwas war bei ihm nicht in Ordnung — etwas
störte mich an ihm, weil es mit seiner übrigen Erscheinung nicht
übereinstimmte. Ich sah ihn von neuem an, betrachtete jeden einzelnen Zug
seines Gesichts, und dann plötzlich begriff ich — es waren die Augen, die
seltsam wirkten. Die Pupillen waren völlig mit einer dünnen durchsichtigen
weißlichen Schicht bedeckt. Plötzlich wurde mir klar, daß Ed blind war.
    »Dann sag’ ich’s Ihnen also,
Lieutenant«, sagte Martinelli , und seine Stimme sank
zu einem Flüstern herab. Seine Faust schlug mit plötzlicher Heftigkeit auf das
Zeitungsfoto. »Dieses Bild — dieses Gesicht — das ist mein kleiner Bruder, Tino Martinelli !«
    »Haben Sie gehört ?« sagte das Mädchen mit schriller Stimme. »Tino!«
    »Sein kleiner Bruder«,
flüsterte der blinde Mann mit Grabesstimme. »Seit fünf Jahren tot, und jetzt
erst kann Gabriele seinen Verlust betrauern .«
    »Unglaublich !« rief das Mädchen mit ihrer schrillen Stimme. »So was sollte bestraft werden !«
    »Dafür wollen wir ja eben
sorgen«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen. »Und hier in der Stadt gibt
es eine Verordnung, nach der junge Mädchen einen Maulkorb umgelegt bekommen,
wenn sie ihren Mund nicht halten können .«
    Sie riß die Augen auf und
preßte in nervöser Unsicherheit eine Hand auf ihren Mund. Ich blickte in Martinellis dunkle Augen, und sie hätten ihrem Ausdruck
nach noch eine ganze Weile länger tot sein können als sein kleiner Bruder.
    »Es wäre wohl dumm, zu fragen,
ob Sie Ihrer Sache sicher sind ?« sagte ich langsam.
    »Glauben Sie vielleicht, ich
kenne meinen eigenen Bruder nicht ?« fragte er
leidenschaftlich. »Kein Wort habe ich in all diesen fünf Jahren von ihm gehört!
Ich habe ein Vermögen angelegt, um eine Spur von ihm zu finden — im ganzen Land
habe ich’s versucht! Aber ich habe immer die Hoffnung gehegt, er würde eines Tages
irgendwo auftauchen — und das war nun nichts als ein lausiger, stinkender
Wunschtraum. Die ganze Zeit über war er bereits tot .«
    »Es gibt eine Möglichkeit,
sicherzugehen«, sagte ich. »Wir können ins Leichenhaus hinüberfahren .«
    »Warum tun wir’s dann nicht ?« fragte er tonlos.
    Ich steckte die Pistole in den
Gürtelholster zurück und stand auf. »Wir können einen Wagen und einen Fahrer
von uns bekommen«, sagte ich, während ich auf die Tür zuging. »Sie können das
Mädchen bei Miss Jackson draußen lassen. Sie wird sich um sie kümmern, solange
wir weg sind .«
    »Ich will nicht hierbleiben«,
sagte das Mädchen nervös. »Wo Gabe hingeht, gehe ich auch hin So soll’s doch
auch sein, Gabe, nicht wahr ?«
    »Dann setz deinen Hut auf«,
sagte er gereizt, »und hör auf, solches Theater zu machen .«
    Ich blieb stehen und starrte
ihn einen Augenblick an. »Sind Sie verrückt? Wissen Sie denn nicht, was sie da
zu sehen kriegt ?«
    »Haben Sie den Kopf noch immer,
Lieutenant ?« fragte der Blinde mit sanfter Stimme.
»Nach all dieser langen Zeit?«
    »In Formalin eingemacht«, sagte
ich, und das Mädchen kreischte plötzlich mit dünner entsetzter Stimme auf.
    »Ed wird’s jedenfalls nichts
ausmachen«, sagte Martinelli leichthin. »Das ist
einmal eine Gelegenheit, wo ein Blinder den anderen gegenüber im Vorteil ist. —
Stimmt’s, Ed?«
    »Es gibt noch viele
Gelegenheiten, Gabe«, widersprach ihm der blinde Mann sanft. »Das ist nur eine
mehr .«
    Ich öffnete die Tür, und Martinelli trat ins Vorzimmer. Ed folgte ihm dicht auf den
Fersen, den Kopf auf die eine Seite geneigt.
    »Gabe!« Georgie kam hinterhergestürzt und

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