Gestickt, gestopft, gemeuchelt: Kommissar Seifferheld ermittelt (Knaur TB) (German Edition)
Schritte, die in einem schmalen Gang nachzuhallen schienen.
Wurster rief: »Hallo?«
»Kein Smalltalk, Zugriff!«, verlangte Frau Bauer und tigerte weiter.
Der Einzige, der in ihrem Büro noch normal atmete, war Onis.
Ein neuerliches Klopfen aus dem Lautsprecher, dann Wursters Stimme: »Polizei, bitte öffnen Sie die Tür!«
Knarzen, unverständliches Gemurmel, die Aufforderung Van der Weydens: »Treten Sie bitte zur Seite.«
Jetzt hielt auch Frau Bauer den Atem an. Sie nahm neben ihrem Schreibtisch Aufstellung.
»Was? Wer?«, murmelte eine verschlafene Männerstimme.
Frau Bauer und Seifferheld hielten unwillkürlich die Köpfe näher an den Lautsprecher der Telefonanlage.
Hinter dem Gummibaum war immer noch kein Lederquietschen zu hören. Bauer zwo war entweder erstickt oder soeben neuer deutscher Meister im Langzeitluftanhalten geworden.
»Sind Sie Herr Reitz?«, hörte man Wurster fragen.
Wieder Gemurmel. Tiefes Männermurmeln. Und ein hohes Zirpen.
»Ziehen Sie sich bitte etwas über«, verlangte die Stimme von Wurster. »Und Sie bleiben bitte an der Tür stehen.«
Seifferheld visualisierte eine splitterfasernackte Biggi im Bett und einen grimmig dreinschauenden Reitz, der jetzt besser keine falsche Bewegung machte, Wurster verstand in solchen Situationen keinen Spaß.
»Frau Wanetzki, wir möchten Sie um das Tagebuch von Salina Tressler bitten«, fuhr Van der Weyden höflich fort.
In amerikanischen Polizeiserien wären Reitz und Wanetzki jetzt unangenehm geworden, hätten sich mit Händen und Füßen gewehrt, nach ihrem Anwalt verlangt oder Fluchtversuche unternommen. Aber in der schnöden Wirklichkeit sagte Biggi nur mit verschlafener Stimme, die jetzt deutlich zu verstehen war, auch wenn sie leicht verzerrt klang, als ob sich Biggi gerade einen Morgenmantel überstreifte: »Der Alte hat mich verraten, nicht wahr? Der Greis mit der Gehhilfe. Von dem wissen Sie davon, stimmt’s?«
Greis mit Gehhilfe? Seifferheld fing innerlich an zu kochen. Das sah sie in ihm?
Wurster und Van der Weyden gingen nicht darauf ein. »Wo ist das Tagebuch?«
»Ich hab’s drüben wieder unter die Matratze gelegt. In Salinas Zimmer. Also echt, ich hab’s mir nur kurz ausgeborgt. Deswegen werde ich doch jetzt nicht verhaftet, oder?«
»Würden Sie es uns bitte zeigen?«
Schritte, Türknarzen, noch mehr Schritte.
Frau Bauer und Seifferheld lauschten.
Rauschen in der Anlage, dann ein überraschtes: »Es ist weg!«
Wie jetzt? Irgendjemand hatte sich das Tagebuch gekrallt?
»Es ist weg!«, wiederholte Biggi Wanetzki, immer noch höchst erstaunt. Nun war sie ja Schauspielerin, weshalb man im Grunde nicht ganz sicher sein konnte, ob sie einem nicht etwas vorspielte. Aber es hörte sich schon sehr ehrlich an.
»Das Tagebuch scheint verschwunden zu sein«, informierte Wurster seine Chefin, als ob die das nicht brühwarm mitbekommen hätte.
»Suchen!«, befahl sie nur. »Fragen Sie sie nach dem Inhalt des Tagebuchs.«
»Frau Wanetzki, wir wissen, dass Sie das Tagebuch gelesen haben. Frau Tressler unterhielt Beziehungen zu mehreren Männern.« Im Hintergrund war ein grimmiges »Wie bitte?« zu hören. Reitz!
Van der Weyden ließ sich davon nicht beirren. »Können Sie sich an die Namen dieser Männer wirklich nicht erinnern?«
»Falls sie jemand namentlich genannt hat, habe ich das überlesen. Oder vergessen.« Klang Biggi trotzig?
»Fallen Ihnen wenigstens irgendwelche Hinweise auf die Identität der Männer ein?«, hörten sie Van der Weyden fragen. »Eine Beschreibung ihres Aussehens? Besondere Merkmale? Eigenheiten?«
»Öhm … nein.«
Die Spannung, die in der Luft lag, wurde immer greifbarer. Die Polizeichefin steckte sich eine Mentholzigarette in den Mund, zündete sie aber nicht an. Rauchen war im Gebäude der Mordkommission natürlich verboten. An Zigaretten zu nuckeln Gott sei Dank noch nicht.
Im Hintergrund hörte man Matratzengeräusche, also Geräusche, die Wurster verursachte, weil er im Bett nach dem Tagebuch suchte. Offenbar vergeblich.
Vom Panoramafenster des Polizeichefinnenbüros aus blickte man an klaren Tagen bis hinüber auf die Waldenburger Hochebene. Es war ein klarer Tag. Aber für die Schönheit der Aussicht hatten weder Frau Bauer noch Seifferheld einen Blick übrig. Bauer zwo galt den beiden längst als verschollen, vermutlich tot.
»Sie nannte doch gar keine Namen, schrieb nur ganz allgemein von den Männern«, hörten sie Biggi memorieren. »Den einen nannte sie den
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