Gestickt, gestopft, gemeuchelt: Kommissar Seifferheld ermittelt (Knaur TB) (German Edition)
nicht Knutschen genannt hätte, sondern Petting. Heavy Petting. Die beiden hatten schon einen gemeinsamen Sohn. Seifferheld ging schwer davon aus, in neun Monaten einen weiteren Neffen im Arm wiegen zu können.
Ob der dann auch eine gelbe Hautfarbe haben würde wie Fela junior, der Erstgeborene? Ein Wunder der Genetik, denn sowohl Karina als auch Fela hatten eine Vorfahrin aus China gehabt, und der Mendelschen Vererbungslehre folgend, hatten sich die asiatischen Gene der beiden zusammengefunden. Das war wie ein Sechser im Lotto, mit Zusatzzahl. So selten, aber nicht so schön. Jedermann hielt Fela junior für ein Kuckuckskind.
»Das verwächst sich, das Gelbe«, hatte der Arzt versprochen. Noch hatte sich aber nichts verwachsen. Fela junior, der in diesem Moment zusammen mit seiner Cousine Ola-Sanne bei einer Babysitterin selig schlummerte, war immer noch mandeläugig und – je nach Lichteinfall – zitronenfaltergelb.
Plötzlich kam wieder Bewegung in die Menge.
Die Reden sollten beginnen.
Sie hörten, wie jemand ein Glas anschlug.
Seifferheld und Marianne wurden am Buffet vorbei in den Ratssaal geschoben. Es gelang Seifferheld immerhin, sich im Vorübergehen zwei Schinkenhörnchen zu krallen. Hoffentlich gab es nachher auch noch welche!
Dann brandete schon wieder Applaus auf. Seifferheld klatschte nicht, er kaute. Und bröselte. Marianne schüttelte entrüstet den Kopf. Sie nahm ihm die Schinkenhörnchen aus der Hand und stopfte sie in ihre Handtasche.
Man klatschte, weil das Ensemble sich abgeschminkt hatte und zusammen mit der Crew im Saal einlief.
Die Schauspieler und Schauspielerinnen strahlten miteinander um die Wette. Sie gingen einem mies bezahlten Job nach, und Freilichttheater war hammerhart, weil sie entweder froren oder schwitzten oder pitschnass wurden, manchmal alles an einem Abend, aber mein Gott, in solchen Momenten war ihr Beruf alle Qual der Welt wert. Die Menge bejubelte sie euphorisch.
Der Oberbürgermeister beglückwünschte seinen Intendanten für die exzellente Wahl von Regisseur und Truppe, der Intendant beglückwünschte Regisseur und Truppe für ihre exzellente Arbeit, und dann gab es für alle Mitwirkenden als Geschenk zwei Flaschen Freilichtspielwein mit dem extra von einem einheimischen Künstler entworfenen Etikett. Dieses Mal zierte eine badende Schöne in einer Jugendstilwanne den Wein, denn genau darum ging es ja in dem Stück.
Seifferheld fand ebenfalls, dass ausnahmslos alle einen herausragenden Job erledigt hatten, aber mitten in der gegenseitigen Beweihräucherung bekam er dann doch den vor allem unter Profiradfahrern bei der Tour de France berüchtigten Hungerast zu spüren und verdrückte sich möglichst unauffällig rückwärts aus dem Ratssaal. Noch eine Sekunde länger, und er wäre wegen Unterzuckerung ohnmächtig zu Boden gesunken.
Vor dem Buffet herrschte gähnende Leere. Nur ein Mann mit Brille bediente sich an den Käsestangen.
Seifferheld stellte sich neben ihn. Jeder andere hätte den Smalltalk mit den Worten begonnen: »Köstlich, nicht wahr?«
Anders Seifferheld.
Hätte sich seinerzeit nicht bei einem Banküberfall eine Kugel so dermaßen deppisch in seine Hüfte gebohrt, dass er in den Vorruhestand geschickt werden musste, er würde immer noch als Chefermittler der Haller Mordkommission an vorderster Front stehen. Doch auch so konnte er das Schnüffeln nicht lassen. Er schaltete nicht so einfach von hundert auf null.
Also waren seine ersten Worte an den Brillenträger: »Sie sind der Bekannte von Frau Söback, nicht wahr?«
Winzige Kleinigkeiten sprangen Seifferheld ins Auge, ohne dass er das bewusst steuern musste. Darin glich er Sherlock Holmes.
Die karierte Fliege des Mannes. Kein Schwäbisch Haller würde so etwas tragen. Das schwäbisch weiche statt des hohenlohisch harten »Danke«, als die Servicekraft dem Mann eine Serviette reichte. Kurzum, dieser Buffetgänger war von auswärts, und er trug eine Brille. Die Chance, dass Seifferheld mit seinem Gesprächsauftakt ins Schwarze getroffen hatte, stand bei 99,9 Prozent.
»Nein«, sagte der Brillenträger.
Tja, so ist das Leben, dachte Seifferheld.
»Ich bin Undines Ehemann, kein ›Bekannter‹. Gestatten, Kilian von Krottwitz.« Fehlte nur noch, dass er die Hacken zusammenschlug.
Wann hat Frau Söback denn geheiratet?, dachte Seifferheld. Und warum hat sie vorhin von jemand gesprochen und nicht gleich von ihrem Ehemann?
Er unterdrückte sein Staunen, so gut es ging.
»Sehr angenehm,
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