Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)
nach gebackenen Tintenfischringen zu fragen, zog sich erschrocken zurück, als Tove ihm entgegenbrüllte, hier sei wegen eines Todesfalls geschlossen. Und ein kleiner Junge, der ein Eis am Stiel haben wollte, bekam es in die Hand gedrückt, ohne bezahlen zu müssen. »Dafür habe ich jetzt keine Zeit.«
Dann legte Tove seine behaarten Unterarme auf die Theke. »Nun erzählen Sie mal.«
Fünf Minuten später wusste er, was Mamma Carlotta preiszugeben bereit war. Das entsprach etwa dem, was Tove am nächsten Tag in der Zeitung lesen würde. Aber es reichte aus, um auch den nächsten Kunden zum Strand zurückzuschicken. »Labskaus ist erst in einer Stunde fertig!«
Dann fragte Tove: »Wie ist Ihre Freundin in dieses Haus gekommen?«
Mamma Carlotta zuckte unglücklich die Achseln, zog es aber vor, Tove die Antwort schuldig zu bleiben.
»Und was wollte sie da?«
Wieder zuckte Mamma Carlotta die Achseln, wieder blieb sie Tove die Antwort schuldig. Sollte sie ihm etwa gestehen, dass sie Schmiere gestanden hatte, als Donata in Magdalena Feddersens Haus eingebrochen war? Und das sogar, ohne genau zu wissen, was Donata von dort mitnehmen wollte? Und dass Fietje …
Da ging die Tür auf, und Fietje betrat Käptens Kajüte. Kurze Hosen und ein verblichenes T-Shirt schlotterten um seinen mageren Körper. Seine geliebte Wollmütze hielt er in der Hand und legte sie vor sich auf die Theke. »Moin.«
Mamma Carlotta warf ihm einen zaghaften Blick zu. Ob er schon von dem Mord gehört hatte, der in der vergangenen Nacht geschehen war?
Ein Blick von Fietje – und sie wusste, dass er sich bereits am Risgap herumgedrückt hatte. Als Tove sich um sein Jever kümmerte, griff er in seine Hosentasche und schob die geschlossene Faust über die Theke. Er wartete so lange, bis Tove den Rotwein aus Montepulciano wieder in den Vorrat stellte, dann öffnete er die Faust.
»Hier! Das haben Sie letzte Nacht verloren.« Er legte ein poliertes silbernes Rechteck vor sie hin und nickte zu ihrem Bettelarmband, das an ihrem Handgelenk klapperte.
Mamma Carlotta schloss die Hand um das silberne Rechteck, nickte Fietje freundlich zu und ließ ihn in dem Glauben, es hätte sich aus ihrem Bettelarmband gelöst. Dass es nicht stimmte, darüber verlor sie kein Wort. Nun hatte sie eine schöne, wenn auch traurige Erinnerung an Donata Zöllner. In ihrem Dorf würde sie das Rechteck überall herumzeigen, von den schrecklichen Morden erzählen und erwähnen, dass das silberne Rechteck zu dem Armband gehörte, das das zweite Mordopfer vom tödlich verunglückten Sohn geschenkt bekommen hatte. Tagtäglich hatte die arme Frau es getragen. Immerzu! Natürlich auch in der Nacht, die ihre letzte gewesen war. In der Stunde ihres Todes …
Als Erik das Hotel Feddersen verließ, widerstand er der Versuchung, zu Lucias Grab zu gehen. Ein Blick auf die Uhr sagte ihm, dass es Zeit war, nach Hause zu fahren. Mamma Carlotta würde schon mit den Antipasti warten. Und er wollte nichts tun, was ihre Kräfte weiter strapazierte. Sörens mahnende Worte waren ihm noch im Gedächtnis.
Er schlenderte zu seinem Wagen und schloss gemächlich die Tür auf. Wie würde sie reagieren, wenn er ihr sagte, was er wusste? Hoffentlich war das Essen fertig, sonst musste man damit rechnen, dass es angebrannt oder versalzen auf den Tisch kam. Erst der Mord an ihrer Freundin – und nun das!
Auch Mathis und Valerie waren verblüfft gewesen. Auf Mathis’ Gesicht hatte sich sogar so etwas wie Sorge ausgebreitet. Anscheinend war er mit der unerwarteten Entwicklung total überfordert. Erst als Valerie sich demonstrativ an seine Seite stellte, war er ruhiger geworden.
»Du bist nicht allein, Mathis«, hatte sie gesagt. »Wir sind eine Familie.«
Für die Regung, die Erik bei diesen Worten beschlichen hatte, war ihm kein passender Ausdruck eingefallen. Dabei durfte es ihn nicht überraschen. Schon Lucia hatte oft darüber gesprochen, dass Valerie der Begriff »Familie« so wichtig war wie sonst nichts auf der Welt.
Die Durchsuchung von Donata Zöllners Zimmer hatte nicht viel ergeben. Ein paar Kleidungsstücke, allesamt von erlesener Qualität, die üblichen Pflegeartikel, ein Parfüm von Nina Ricci, auf dem Nachttisch das Buch »Die Vermessung der Welt«, in der Schublade Kopfschmerztabletten, die Rückfahrkarte – und eine Zeitschrift aus dem Jahr 1999. Auf dem Titel stand in riesigen Lettern: Inferno im Montblanc-Tunnel! Außerdem ein Flyer von Kinder + kinder. Dieser gemeinnützige
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