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Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)

Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition)

Titel: Gestrandet: Ein Sylt-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gisa Pauly
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gemeinsam die Daumen drücken?«
    Sie lächelte zurück, aber es war ein gequältes Lächeln. Der Zorn, der kurz zuvor aus ihrer Stimme geklungen hatte, stand noch in ihren Augen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er verschwand. Trotzdem wagte Erik nicht, ihr die Frage zu stellen, die ihm auf den Lippen brannte.
    Woher kannte sie Kurt Fehring?
    »Madonna!« Wie schrecklich war es doch, den Himmel um Beistand anzuflehen, wenn es niemanden gab, der Zeuge war! »Madonna!« Mamma Carlotta versuchte es noch einige Male, dann musste sie einsehen, dass ihre Verzweiflung niemanden anlockte. In ihrem Dorf wäre schon die Nachbarschaft zusammengelaufen, aber auf Sylt standen die Häuser weiter auseinander. Außerdem kümmerte sich der Friese, das hatte Mamma Carlotta längst erkannt, nicht gern um die Gefühle anderer. Er war zur Stelle, wenn es um das Auto des Nachbarn ging, das nicht anspringen wollte, oder um einen defekten Rasenmäher, aber mit seinen Gefühlen musste auf Sylt jeder selbst zurechtkommen. Und wenn eine Italienerin die Madonna anflehte, weil ihr Enkel zu einem wichtigen Fußballspiel aufgebrochen war, ohne sein Maskottchen mitzunehmen, dann versteckten sie sich vermutlich in ihren Häusern und hielten sich die Ohren zu.
    »Madonna!« Ein letzter Versuch, dann hatte Mamma Carlotta sich damit abgefunden, dass sie auf sich allein gestellt war. Sie griff nach Willi, dem Stoffhasen, den sie unter einem Stuhl gefunden hatte, und schnappte sich den Fahrradschlüssel. Zwei Minuten später hätte Willi, wenn er dazu fähig gewesen wäre, die Madonna angerufen, denn seine Lage war alles andere als angenehm. Quer auf dem Gepäckträger klemmte er, seine langen Ohren flatterten im Wind, und seine Beine schlugen im Rhythmus, mit dem Carlotta in die Pedale trat. Zum Glück war der Wind zahm an diesem Morgen.
    Als Carlotta die Nordsee-Klinik links liegen ließ, ahnte sie, dass sie pünktlich ankommen würde. Felix musste seinen Hasen unbedingt in den Arm schließen, noch bevor er aufs Spielfeld lief, musste noch Zeit für die heimliche Zeremonie haben, mit der er sein Glück beschwor: mit dem linken Ohr die rechte Wange streicheln, mit dem rechten Ohr die linke und dann ein Kuss auf jedes gläserne Auge.
    Endlich kam die Abzweigung, die zum Aquarium und zum Fußballplatz führte. Als sie vom Fahrrad stieg, sah sie zu ihrer großen Erleichterung, dass sich auf dem Spielfeld lediglich der Paketbote und der Kellner vom Wienerwald die Beine vertraten, die als Linienrichter fungieren sollten, und der Schiedsrichter sich warmlief, der sonst in der Sylter Welle als Bademeister zu sehen war. Die Spieler waren noch in den Umkleideräumen.
    Willis Körpermitte hatte leider Schaden genommen, er sah aus, als zöge er verzweifelt den Bauch ein. Aber während Carlotta auf das Vereinsgebäude zulief, plusterte sie ein wenig sein Fell auf, sodass Willi beim Einzug in die Umkleidekabine wieder einen einigermaßen runden Hasenbauch hatte.
    Felix nahm Willi erleichtert in den Arm und rief seinen Mannschaftskameraden zu: »He, Leute! Es kann nichts mehr passieren! Mein Maskottchen ist da!«
    Dann verzog er sich in die Waschräume, damit er allein sein konnte mit seiner Zeremonie. Ein Vierzehnjähriger, der vor allem cool sein will, verliert leicht sein Gesicht, wenn er einen Stoffhasen herzt.
    Carlotta atmete tief durch, ehe sie zu den steinernen Bänken ging, auf denen die Eltern und Geschwister der Fußballer bereits Platz genommen hatten.
    Tove hatte seine Imbissstube geschlossen und ging mit einem Bauchladen durch die Reihen, der alles enthielt, was in Käptens Kajüte neben der Kasse aufgebaut war: Schokoriegel, Erdnusspäckchen, Kaugummistangen und Tütchen mit Gummibären. Er winkte Mamma Carlotta zu und zeigte auf einen freien Sitzplatz. Sie bedankte sich mit einem Kopfnicken, sah sich aber zunächst nach Erik um. Sicherlich hielt er einen Platz für sie frei, denn die Familie eines Fußballers sollte im Daumendrücken, Pfeifen, Trommeln und in der La-Ola-Welle vereint sein.
    Aber Erik war nicht zu sehen. Unsicher blickte Mamma Carlotta sich um. Wo mochte er stecken? Eine hilflose Angst überfiel sie. Traf er sich etwa heimlich mit Valerie, da er wusste, dass Mathis in den nächsten beiden Stunden beschäftigt sein würde? Hatte sich zwischen den beiden etwas entwickelt, was ihr entgangen war?
    Oh, Lucia! Mamma Carlotta sah in den wolkenlosen Himmel. Lucia, das kannst du nicht zulassen! Diese Frau ist verheiratet! Und nicht nur das –

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