Gestrandet - Harvey, C: Gestrandet - Winter Song
aber du weißt wirklich irgendwelche Dinge, an die du dich dann später nicht mehr erinnern kannst.«
»Ragnar hat das ebenfalls gehört?«, vergewisserte sich Karl. Er hatte das Gefühl, als bildete sich ein eisiger Klumpen in seinem Magen. Was, wenn der Stress, dem er durch den Angriff auf sein Schiff und die spätere Isolation ausgesetzt gewesen war, schizoide Verhaltensmuster ausgelöst hatte? Das würde einige der Symptome erklären, und auch die Möglichkeiten der Neuro-Nanophyten waren letztlich begrenzt.
Bera nickte. »O ja.«
»Dann werde ich besser einen internen Diagnoselauf durchführen«, erklärte Karl. »Das hätte ich schon letzte Nacht tun sollen, weil die Prozedur dazu führt, dass ich in einen tiefen Trancezustand sinke, aber leider habe ich nicht daran gedacht. Ich wollte es bisher nicht tun, weil es einige Zeit in Anspruch nimmt.«
Bera runzelte die Stirn. »Wie lange? Was heißt ›einige Zeit‹?«
»Keine Ahnung«, gestand Karl. »Ich habe es bisher noch nie gemacht, also könnte es ein paar Minuten oder auch Stunden dauern. Hängt davon ab, was – wenn überhaupt etwas – bei dem Diagnoselauf herauskommt.«
»Ich weiß nicht, ob es mir gefällt, wie sich das anhört«, sagte Bera. »Nicht nur wegen der Raubtiere – auch Ragnar müsste sich uns mittlerweile an die Fersen geheftet haben.«
»Ich mache so schnell, wie ich kann«, versprach Karl. Er schloss die Augen und begann damit, die wahllos ausgewählten Gedichte und mathematischen Formeln zu rezitieren, die er auf einer unterbewussten Ebene seiner Erinnerungen für den Fall abgespeichert hatte, dass er gezwungen wurde, den Prozess zu initiieren.
Die Welt um ihn herum verblasste.
Ragnar starrte das Orakel entsetzt an. Bis zu diesem Moment hatte es immer funktioniert. »Wie lange ist es schon defekt?«
»Seit gestern Morgen«, sagte Hilda. Sie wirkte verunsichert. »Wir wollten einen Heiler rufen, um Yngis Verletzungen versorgen zu lassen, aber es hat nicht funktioniert. Du hattest dich da … gerade ausgeruht.« Sie senkte den Blick.
»Wie geht es ihm?« Ragnar fühlte, wie sein Gesicht heiß wurde. Seine Stimme klang harscher als beabsichtigt.
»Er ist auf einem Auge erblindet«, berichtete Hilda. »Seine Platz- und Risswunden werden wieder verheilen … physisch. Wie es mit eventuellen inneren und den psychischen Verletzungen aussieht, weiß ich nicht.«
»Psychische Verletzungen?« Die Scham ließ Ragnar unwirsch reagieren. »Hör auf, so einen Unfug zu reden, Mädchen. Hätte er nicht gelogen, hätte er nicht bestraft werden müssen. Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich ihm schon früher eine ordentliche Tracht Prügel verabreicht hätte.« Er krümmte die Finger, deren Knöchel wund waren. »Aber kommen wir jetzt dazu …« Er deutete auf das stumme Orakel.
»Wir konnten es nicht zum Laufen bringen«, sagte Hilda, »obwohl Orn die ganze Nacht daran gearbeitet hat. Aber er hat herausgefunden, woran es liegt.« Sie sah ihren Vater erwartungsvoll an.
»Sprich weiter«, forderte Ragnar sie auf.
»Orn hat festgestellt, dass ein winziger Kristall fehlt. Den kann nur jemand entfernt haben, der genau wusste, was er tat.«
»Allman!«, stieß Ragnar hervor.
»Oder Bera«, gab Hilda zu bedenken. »Sie hat viel Zeit vor dem Orakel verbracht.«
»Nein!«, fauchte Ragnar verächtlich. »Woher sollte sich ein junges Ding wie sie mit einer derart komplizierten Apparatur auskennen?« Er ignorierte Hildas Gesichtsausdruck. »Diesmal ist der Bastard endgültig zu weit gegangen!« Es war ein gutes Gefühl, wieder etwas gefunden zu haben, wofür er jemand anderem die Schuld geben konnte. »Zeit, dass wir den Utlander zur Rechenschaft ziehen.«
Bjarney tauchte in der Tür zu Ragnars Arbeitszimmer auf. »Arnbjorn hat mir gerade Bescheid gesagt. Wir haben kein Orakel mehr?«
»Fürs Erste nicht, nein«, bestätigte Ragnar.
»Wir haben gestern Abend alle Zimmer durchsucht«, meldete sich Hilda zu Wort. »Was uns fehlt, ist ein winziger Speicherkristall, der das Orakel überhaupt erst in die Lage versetzt, mit anderen Orakeln in Verbindung zu treten.«
»Dann müssen wir ihn unbedingt finden! Wie konnte das überhaupt passieren?« Bjarney verlor nur selten die Fassung und mischte sich nie in Ragnars Familienangelegenheiten ein, obwohl sie den Winter über immer sehr eng zusammenrücken mussten. Und er hatte das Recht, Antworten von Ragnar zu verlangen. Schließlich betraf der Vandalismus sie alle.
Ragnar bemühte sich darum,
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