Gestrandet
Kontrolle über ihren Leib entriß. Sie hatte erlebt, wie jemand anders ihre kleinen Hände bewegte, mordete, küßte und fluchte. Eingekerkert im eigenen Ich hatte sie versucht, Widerstand zu leisten und gegen Tieran zu kämpfen.
Schließlich war es ihr gelungen, auch in diesem Fall einen Sieg zu erringen, aber jedesmal erforderte der letztendliche Triumph einen hohen Preis von ihr. Ocampa und alle Beschränkungen jener Welt lagen jetzt hinter ihr, und das galt auch für ihr Leben als Sklavin bei den Kazon. Sie hatte es sogar geschafft, Tieran lange genug standzuhalten, bis ihre Freunde eingriffen und sie befreiten.
Doch jetzt befand sie sich erneut in Gefangenschaft.
Zugegeben, diesmal war der Käfig schön und komfortabel.
Es gab gutes Essen und Wein, um sie bei Kräften zu halten; hübsche Dinge erfreuten ihr Auge, und es mangelte nicht an interessanten Tätigkeiten, mit denen sie sich ablenken konnte.
Außerdem war ihr Gefangenenwärter weder ein Halbgott noch ein grausamer Kazon, auch kein fremdes Selbst, das von ihr Besitz ergriff. Aren Yashar erwies sich vielmehr als intelligent, kultiviert, geistreich – und unnachgiebig.
Gefangen.
Zorn brodelte in Kes empor, und sie gab ihm nach, schlug mit der Faust auf den Tisch. Teller und Besteck klirrten.
»Vorsichtig, kleines Vögelchen. Du könntest deine Hand verletzen!«
Aren Yashar erschien einmal mehr wie aus dem Nichts. Der Wärter. Kes schwieg, den Blick auf die bunten Speisen gerichtet, die ihr der verzierte Teller präsentierte. Sie atmete schneller, und Tränen quollen ihr in die Augen. Es waren keine Tränen der Furcht oder des Kummers. Sie kündeten vielmehr von einer fast überwältigenden Wut, die auf Tieran zurückging und das dünner werdende Gespinst von Kes’
Selbstbeherrschung endgültig zu zerreißen drohte.
Das Oberhaupt der Piraten nahm neben ihr Platz. »Du hast gar nichts gegessen, Vögelchen.«
»Ich habe keinen Hunger«, erwiderte Kes, und es klang fast wie ein Knurren.
»Aber du mußt etwas essen.« Aren beugte sich vor.
Kes sah sein ruhiges Gesicht, erfüllt von einem Frieden, den nur ein Leben bringen konnte, das fast eine Ewigkeit lang währte. Auch deshalb war Kes zornig auf ihn: Er durfte Jahrtausende leben, während sie die Jahre ihrer eigenen Lebenserwartung an den Fingern abzählen konnte.
»Soll ich dich füttern, wie ein richtiges Vögelchen?« Aren nahm einen Löffel, hob ihn an ihre Lippen und lächelte nachsichtig. »Ich bitte dich, Kes. Es schmeckt köstlich, das versichere ich dir.«
Es gelang Kes kaum, die Hände stillzuhalten. Sie lagen in ihrem Schoß und waren zu Fäusten geballt. Fast überwältigend wurde die Versuchung, den Löffel beiseite zu stoßen, ihn Aren aus der Hand zu schlagen, aber sie beherrschte sich.
Du mußt dich unter Kontrolle behalten. Zeig ihm nicht, wie sehr dich dies alles belastet. Kes schloß für einige Sekunden die Augen und besann sich auf die Ruhe, von der Tuvok meinte, sie befände sich immer in Reichweite. Als sie wieder zu dem Rhulani aufsah, hatten sich ihre Züge geglättet.
»Sie kennen meine Freunde nicht«, sagte sie mit sanfter Stimme. »Sie geben nicht so einfach auf.«
Aren wandte kurz den Blick ab und schwieg. »Kes… «, sagte er schließlich. »Es tut mir leid, aber… Du kennst deine Freunde nicht.«
Die Kontrolle entglitt ihr wieder, und einmal mehr streckte Kes ihre mentalen Hände nach der Ruhe aus. Sie preßte die Lippen zusammen, bevor sie fragte: »Wie meinen Sie das?«
»Ich habe ein Abhörgerät an Bord des Shuttles installiert, mit dem dein Captain hierherkam«, sagte Aren. »Dadurch konnte ich ihre Gespräche belauschen. Captain Janeway ist eine sehr praktisch denkende Frau, und sie muß auch das Wohlergehen der anderen Besatzungsmitglieder berücksichtigen. Ich halte es für sehr unwahrscheinlich, daß jemand zurückkehrt, um dich zu holen.«
Kes schüttelte den Kopf. »Nein«, hauchte sie. »Nein, ich kenne sie und weiß, daß sie mich niemals im Stich lassen würden.« Abrupt schloß sie den Mund und verwandelte ihr Gesicht in eine Maske – sie wollte Aren nicht zeigen, wie sehr seine Worte sie getroffen hatten.
Captain Janeway hat ihr Leben riskiert, um mich zu retten, als ich im Sanktuarium der nakanischen Ahnengeister fast gestorben wäre. Sie unterzog sich einem strapaziösen Ritual und trat anschließend dem Tod gegenüber. Auch die anderen haben immer wieder ihr Leben für mich aufs Spiel gesetzt! Und wer soll dem Doktor assistieren?
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