Geteilter Tod - Norman, H: Geteilter Tod - Caged
er ein, dass das auch etwas Gutes hatte, denn es verringerte die Wahrscheinlichkeit, dass die Jungs ihn in dem Fahrzeug bemerkten - eine Möglichkeit, die in seinem eigenen Wagen wesentlich eher bestanden hätte.
Und er wollte auf keinen Fall angehalten werden und den Befehl erhalten, nach Hause zu fahren.
»Was machen wir denn jetzt?«, fragte Saul.
»Fahr einfach weiter«, erwiderte Martinez. »Ich brauche etwas Zeit zum Denken.«
Nur, dass sein Hirn sich immer noch anfühlte wie Brei.
Er gehörte nach Hause. Aber dahin würde er jetzt noch nicht gehen. Das kam überhaupt nicht infrage. Nur über seine Leiche.
113
»Wie lange seid ihr schon zusammen?«, fragte Sam.
»Schon sehr lange«, antwortete Dooley.
Drüben, auf der Leinwand an der Wand, lief immer noch der Stummfilm und warf Schatten in den Käfig. Sam hatte sich wieder auf den Boden gesetzt, denn das wirkte zum einen weniger provokativ, zum anderen war er Grace dadurch körperlich näher. Sie hatte ihre beiden Peiniger in einen Dialog verstrickt, und das war der richtige Weg, der einzige Weg überhaupt.
»Wo habt ihr euch eigentlich kennengelernt?«, fragte Grace.
Schon jetzt konnte sie sich nur schwer vorstellen, dass sie längerfristig Fragen formulieren und die Reaktionen beeinflussen konnte, doch falls die Nacktheit etwas mit Macht zu tun hatte, dann war, damit fortzufahren, mehr als lediglich ein Mittel, um an Informationen zu gelangen, und weit mehr als eine Verzögerungstaktik.
Es war eine Trotzhandlung - für den Augenblick das Einzige, was ihnen blieb.
Und es schien, als wollten die Killer reden.
»Wir haben beide in einem Restaurant drüben in Naples gearbeitet«, antwortete Dooley. »Da habe ich Simone eines Abends in einem Lagerraum gefunden, als es schon sehr spät war und alle anderen bereits nach Hause gegangen waren. Sie war dabei, sich selbst zu verletzen. Sich mit einem Messer zu ritzen.« Er hielt inne. »Das ist es, was sie ihr angetan haben.«
»Wer hat ihr das angetan?«, fragte Grace.
»Das perfekte Paar«, antwortete Dooley. »Celine und Dougie Regan. Ihre wunderbaren Eltern.«
»Sie waren außerordentlich begabt«, erklärte Simone. »Sie hatten in Sarasota ihr eigenes Restaurant. Alle hielten sie für das talentierteste und bezauberndste Paar, und sie liebten einander. Und schöne Menschen waren sie obendrein.«
»So schön, dass sie ihr eigenes Kind gefoltert haben«, fügte Dooley hinzu.
»Foltern«, warf Simone ein, »ist ein großes Wort.«
»Sie haben sie verbrüht, verbrannt«, führte Dooley aus. »Manchmal haben sie Simone mit Töpfen oder Pfannen verprügelt. Immer gemeinsam.«
»Einmal haben sie mich so schlimm geschlagen«, sagte Simone, »dass ich längere Zeit im Krankenhaus war.«
»Hat man sie denn nicht angezeigt?« Sam bemühte sich, keinen Zynismus in seine Worte einfließen zu lassen, obwohl ihm alles, was diese beiden von sich gaben, wie eine einzige Lüge vorkam. Er fragte sich, wie weit Alvarez, Riley und das Team inzwischen wohl waren, denn sofern Cathy gesund und in der Lage war, ihnen alles zu erzählen, würden sie jetzt sicher schon wissen, wer sie entführt hatte.
»Ich habe nie jemandem davon erzählt«, erwiderte Simone. »Es hätte mir ja doch keiner geglaubt.«
»Wieso nicht?«, fragte Grace. »Ich glaube dir.«
Simone stieß einen spöttischen Laut aus. »Stattdessen bin ich weggelaufen. Bin mit dem Bus nach Naples gefahren und habe gelernt, allein über die Runden zu kommen.«
»Mit Arbeit und Träumen«, sagte Dooley und blickte Grace an. »Du willst sicher gern wissen, mit welcher Art von Träumen.«
»Nur wenn Simone es mir erzählen möchte«, gab Grace zurück.
Sam wusste, dass Grace gezielt auf die beiden Verrückten einging und dass ihr klar war, dass sie mit ihr spielten, und doch ließ sie sich weiter darauf ein. Sam empfand größte Bewunderung für seine Frau, wie schon so oft in der Vergangenheit.
»Meine Güte, was für eine taktvolle Seelenklempnerin«, tönte Dooley. »Deine Kollegen haben längst nicht so viel Geduld wie du.«
»Ich würde gerne etwas über Simones Träume hören«, warf Sam ein.
»Mir wollte sie am Anfang nichts davon erzählen«, sagte Dooley, »aber ich war ganz behutsam mit ihr, und irgendwann öffnete sie sich. Sie hat gesagt, ich würde flüchten, wenn ich ihre wahren Gedanken kennen würde. Dass ich sie für verrückt halten würde. Aber ich habe ihr gesagt, dass ich auch ›Gedanken‹ hätte - was übrigens die Wahrheit war,
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