Geteiltes Geheimnis
Schürze glatt.
»Es tut mir leid, Cassie. Es ist ganz schön schäbig von mir, dir eine Beförderung anzubieten und dann umzukippen, um auf diese Weise über dich herzufallen.«
»Ich werde keine Beschwerde einlegen … wenn du versprichst, es nie wieder zu tun.«
»Ich mache keine Versprechungen mehr, die ich nicht halten kann. Aber darf ich dich was fragen?«
»Schieß los.«
»Denkst du über mein Jobangebot nach?«
»Ja, das werde ich.«
»Bist du morgen wieder hier?«
»Gleich morgen früh.«
»Und übermorgen?«
»Und überübermorgen.«
»Ich glaube, das reicht. Für heute.«
Ich lächelte. Ich konnte nicht anders. Dann wandte ich mich um und verließ das Zimmer, ging den Flur entlang und zur Treppe.
»Cassie, ich will nur, dass du weißt …«
Ich drehte mich zu ihm um.
»Du bist es … Du warst es immer.«
Ich klammerte mich ans Geländer.
»Hast du mich verstanden?«
»Ja. Ich muss gehen, Will.«
Unten rief ich Dell, die in der Küche war, ein »Bis dann!« zu. Sie warf mir einen fragenden Blick zu. Dann schnappte ich mir meine Tasche aus dem Spind und verließ das Café. Heiße Tränen brannten in meinen Augen.
Erst als ich auf die Chartres Street gelangte, bemerkte ich, dass mein schwarzes T-Shirt mit weißem Mörtel und Farbstücken übersäht war.
ZWÖLF
Dauphine
Bisher hatte ich mir die schönen Orte dieser Welt immer nur auf Fotos angesehen. Aber diese Zeiten waren eindeutig vorbei. Das war der erste Gedanke, der mir kam, als Captain Nathan mit seiner beruhigenden Stimme die Landung der Maschine ankündigte. Eigentlich hätte ich grüne Wiesen erwartet, aber als ich aus dem Fenster blickte, ging die Sonne gerade über der riesigen Stadt auf, die sich wie ein Teppich unter uns erstreckte. Buenos Aires so weit das Auge reichte. Die Ausmaße raubten mir den Atem. Ich hatte schon davon gelesen, aber jetzt sah ich es mit eigenen Augen aus luftiger Höhe. Ich hatte überhaupt noch keine Stadt aus diesem Blickwinkel gesehen, und es kam mir geradezu unwirklich vor, als hätte ich Supermächte. Bald würde ich mehr sein als lediglich eine Beobachterin. Ich würde in die Stadt selbst eintauchen, in das Paris Südamerikas.
Im Stillen dankte ich S.E.C.R.E.T. Und als ich von Bord ging, dankte ich offiziell auch meinem Piloten, indem ich ihm einen Kuss auf die Wange gab, als ich an ihm vorbeilief. »Das ist für Ihre Hilfe«, sagte ich.
»Das Vergnügen war ganz auf meiner Seite«, antwortete Captain Nathan und tippte sich an die Pilotenmütze.
Zwei Fahrer standen hinter einem Plakat, auf dem mein Name stand. Einer würde mich ins Hotel bringen, der andere Carolinas Gemälde bis zur Auktion an einen sicheren Ort. Auf dem Rücksitz einer Limousine warteten eine Schüssel kühles Obst, Gebäck und heißer Kaffee auf mich, sodass ich es mir auf der Fahrt gutgehen lassen konnte. Ich war gierig: auf Essen, auf Menschen, auf das Leben. Mit weit geöffneten Augen nahm ich jedes Detail, das draußen zu sehen war, in mir auf.
Auf einer einzigen Straße sah ich neuklassizistische französische Fassaden, italienische Kuppeln, Jugendstil-Tore und moderne Glaswürfel, die zwischen sechsstöckigen Gebäuden ohne Fahrstuhl eingequetscht waren, auf deren Balkonen sich wiederum frisch gewaschene Wäsche tum melte. Ich konnte gar nicht alle Nischen, Simse und Kurve n würdigen. Die Menschen hier schienen sich um Ampeln nicht zu kümmern, was an einem Ort, wo man unversehens von einer achtspurigen Straße in eine enge Einbahnstraße ohne Bürgersteige einbiegen kann, durchaus ein Risiko darstellt. So ist das also ,dachte ich, als Fremde ein Abenteuer in einer neuen Stadt zu erleben . Meine Sinne waren lebendig, mein ganzer Körper vibrierte von den ungeahnten Möglichkeiten, die auf mich warteten.
Mein Fahrer, Ernesto, war ein eifriger Stadtführer, der mich rastlos auf alle wichtigen Dinge aufmerksam machte, zum Beispiel, als die Autobahn vom Flughafen in die Stadt in die Avenida 9 de Julio mündete, eine der breitesten Straßen der Welt.
»Es ist ein … recuerdo «, sagte er mit deutlichem Akzent, »der Name erinnert an Argentiniens independencia . Die meisten Straßen in Buenos Aires sind nach Persönlichkeiten oder Ereignissen benannt.«
Wir näherten uns langsam dem Hotel, wobei wir mitten durch eine dicht besiedelte und hektische Gegend mit Namen Recoleta fuhren – ein eleganter Stadtteil, wie Ernesto sagte, wo sich die Menschen immer noch versammelten, um Eva Perón in ihrem berühmten Grab zu
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