Getrieben - Durch ewige Nacht
aufsteigendem, schwarzem Rauch – wieder ein Gebiet, das dem Sturm zum Opfer gefallen war. Der Äther wurde immer stärker, daran bestand kein Zweifel.
Roar ließ seinen Beutel fallen und setzte sich auf den Boden. Er hatte den ganzen Tag noch kein Wort gesagt.
»Ich seh mich mal um«, teilte Aria ihm mit. »Keine Sorge, ich geh nicht weit.« Sie wollte das Gelände genauer erkunden. Erleichtert stellte sie fest, dass sie auf der einen Seite von einem Schieferhang und auf der anderen von einer unüberwindlichen Klippe geschützt wurden. Falls ihnen jemand folgte, würden sie es rechtzeitig bemerken.
Als sie zum Wäldchen zurückkehrte, fand sie Roar auf dem Boden vor. Er war auf die Knie gesunken und hatte den Kopf in den Händen vergraben. Tränen strömten über seine Wangen und an seinem Kinn herab, aber er bewegte sich nicht. Aria hatte noch nie einen Menschen so weinen sehen. So still. Als registrierte er seine Tränen gar nicht.
»Ich bin hier, Roar«, sagte sie und setzte sich neben ihn. »Ich bin hier.«
Er schloss die Augen, reagierte aber nicht.
Es schmerzte, ihn so zu sehen. Am liebsten hätte Aria geschrien, bis ihre Stimme heiser war, aber sie konnte ihn nicht zum Reden zwingen. Wenn er dazu bereit war, würde sie für ihn da sein.
Aria fand ein Ersatzhemd in ihrem Beutel und riss es in Streifen. Sie verband ihr Knie, packte ihre Sachen weg und konnte dann nur zusehen, wie Roars Herz vor ihren Augen blutete.
Plötzlich sah sie Liv wieder vor sich, wie sie lachte und fragte:
Bist du der Vogel oder mein Bruder?
Hastig schlug Aria sich eine Hand vor den Mund, rappelte sich auf und lief davon. Sie rannte an Büschen und Bäumen vorbei, musste fort von Roar, weil sie nicht leise weinen konnte und es für ihn nicht noch schlimmer machen wollte.
Liv hätte morgen heiraten oder mit Roar davonlaufen sollen. Sie hätte Perry als Kriegsherrn sehen und Arias Freundin werden sollen. All das war in einer einzigen Sekunde zunichtegemacht worden.
Aria erinnerte sich, wie sie mit Sable im Esszimmer gesessen hatte. Sie hatte ein Messer in der Hand gehalten und hätte es ihm nur in den Hals rammen müssen. Jetzt hasste sie sich dafür, dass sie es nicht getan hatte.
Mit verquollenen Augen und rasenden Kopfschmerzen humpelte sie zurück zu Roar. Er hatte den Kopf auf seinen Beutel gelegt und schlief.
Sie nahm das Smarteye heraus und unterdrückte die Tränen, die ihr wieder in die Augen stiegen. Wäre Liv noch am Leben, wenn sie das Eye nicht gestohlen hätte? Würde sie noch leben, wenn Aria es Sable auf dem Balkon zurückgegeben hätte?
Ihr wurde schlecht, als sie an das Treffen von Hess und Sable dachte. Ihre Vereinbarung, gemeinsam in die Blaue Stille zu ziehen, bedeutete für zahllose unschuldige Menschen den sicheren Tod. Sie dachte an Talon und Caleb und ihre anderen Freunde in Reverie. Würden sie zu den Auserwählten gehören? Und was war mit Perry und Cinder und den übrigen Tidenbewohnern? Was war mit
allen anderen
? Die Einheit wiederholte sich, und es war furchtbarer als alles, was sie je erlebt hatte.
Bei der Vorstellung, Hess zu begegnen, drehte sich ihr der Magen um, aber es ließ sich nicht vermeiden. Sie hatte ihn mit Sable zusammengebracht, hatte ihre Aufgabe erfüllt und ihm geholfen, die Blaue Stille zu finden. Jetzt musste er seinen Teil der Vereinbarung einhalten – und wenn er sich weigerte, würde sie sich an Soren wenden. Es war ihr egal,
wie
sie es zustande brachte, aber sie musste Talon zurückholen.
Ihr Puls raste, als sie das Smarteye anlegte. Die Biotech wurde aktiviert, und das Eye saugte sich an der Haut rund um ihr Auge fest. Sie sah, dass die Aufzeichnungen verschwunden waren. Nur die Icons für Hess und Soren leuchteten auf dem Screen. Aria versuchte, mit Hess Kontakt aufzunehmen, und wartete. Doch er erschien nicht.
Danach rief sie Sorens Icon auf, aber auch er ließ sich nicht blicken.
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Peregrine
| Kapitel Fünfunddreißig
Einige Zeit später kletterte Perry auf das Dach seines Hauses und beobachtete, wie der Äther über den Himmel zog. Nachdem Kirra sich entfernt hatte, war er ins Meer gesprungen, um ihren Duft abzuwaschen. Er war durch die Wellen gepflügt, bis seine Schultern brannten, und dann mit müdem, taubem Körper, aber klarem Kopf ins Dorf zurückgekehrt.
Als er seine Wange auf die Dachziegel legte, konnte er die Bewegungen der Wellen noch immer spüren. Er schloss die Augen und überließ sich seinen Erinnerungen.
Er dachte daran, wie sein
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