Getrieben: Thriller (German Edition)
Gespräch mit einer Organisation, deren Sitz diesseits des Potomac gelegen war: dem Financial Crimes Enforcement Network, kurz FinCEN. Das FinCEN zählte zu den weniger bekannten Helden im Krieg gegen den Terror. Ursprünglich gegründet, um finanzielle Straftaten innerhalb der USA aufzudecken und zu verfolgen, war das Aufgabengebiet des FinCEN nach dem 11. September erheblich erweitert worden. Heutzutage zählte die Organisation zu den erfolgreichsten Akteuren im internationalen Kampf gegen das finanzielle Netzwerk des Terrors.
Nachdem Connor seinen Kontaktmann beim FinCEN begrüßt hatte, nannte er ihm Erskines Sozialversicherungsnummer und bat um eine umfassende Aufstellung von Erskines finanziellen Transaktionen in der letzten Zeit. Am meisten interessierten ihn Erskines Bankkonten. Alle Zahlungseingänge in den letzten sechs Monaten sollten genauestens unter die Lupe genommen und nach Möglichkeit zurückverfolgt werden, um an den Namen des oder der Auftraggeber zu gelangen. Anfragen wie diese gehörten zum Tagesgeschäft des FinCEN und wurden normalerweise innerhalb von vierundzwanzig Stunden erledigt.
Als das hausinterne Telefon klingelte, beendete Connor das Gespräch mit dem FinCEN-Kontaktmann. »Ja«, meldete er sich, nachdem er den Hörer abgenommen hatte.
»Ich habe Oberst al-Faris für Sie aufgetrieben.«
»Danke, Pete«, sagte Connor. »Stellen Sie ihn bitte durch.«
Es dauerte einen kleinen Moment, bis die Leitung stand.
»Frank, Nasser hier. Was kann ich zu dieser späten Stunde denn für meinen amerikanischen Freund tun?«
»Hallo, Nasser«, antwortete Connor. »Mich würde interessieren …« Doch noch bevor er den Satz beenden konnte, blieb sein Blick an etwas hängen.
Auf dem Computerbildschirm blinkte ein roter Cursor. Im nächsten Moment öffnete sich ein Fenster, in dem es hieß: »Remora 575 aktiv. Kopiere 1 von 2575 Dateien.« Darunter erschien eine IP-Adresse. »Verbleibende Zeit: 2 Minuten.«
»Frank … Bist du noch dran?«
»Heilige Muttergottes«, stieß Connor aus und konnte seinen Blick nicht vom Monitor losreißen. »Ich rufe dich in ein paar Minuten zurück.«
Remora 575 gehörte zu Jonathan Ransoms USB-Stick. Ungläubig und fasziniert sah Connor zu, wie die Dateien von Lord Balfours Festplatte nach und nach auf seinen Computer kopiert wurden.
Manchmal werden Gebete erhört, selbst wenn die Welt um einen herum im Chaos versinkt.
61.
Sultan Haq fuhr mit einem Ruck aus seinem Traum hoch.
Er setzte sich auf und starrte in die Finsternis. Im Traum hatte er das Gesicht eines anderen Mannes gesehen. Blaue Augen. Blonde Haare. Schwarze Hornbrille. Es war das Gesicht von Dr. Revy, dem Schweizer Arzt, der es gewagt hatte, ihn und sein Land an diesem Abend so unverfroren zu beleidigen.
Haq hatte für den Mann die gleiche abgrundtiefe Verachtung empfunden, die er für alle Menschen aus dem Westen empfand. Wegen seines privilegierten Lebensstandards und seiner Arroganz, aber vor allem wegen seiner tiefverwurzelten, ungerechtfertigten Überheblichkeit. Das Gesicht starrte ihn wortlos an, schien ihm aber dennoch etwas sagen zu wollen. Wieder und wieder rief Haq sich die Züge des Mannes in Erinnerung und spürte, wie Frust in ihm aufstieg. Und noch etwas – die nagende Gewissheit, dass der andere ihn an der Nase herumführte. In Gedanken suchte er in Revys blauen Augen hinter der Hornbrille nach etwas, das ihm einen Hinweis geben konnte.
Der Verhörchef in Camp X-Ray hatte genauso blaue Augen und blonde Haare wie Revy gehabt. Wenn er Revys Gesichtszüge musterte, hatte er das Gefühl, wieder im Vernehmungsraum zu sitzen. Vor seinem inneren Auge sah er die grellen Scheinwerfer und die unersättlichen und unzufriedenen Gesichter seiner Peiniger mit ihrem stinkenden Atem und den nicht enden wollenden Fragen. Dann stülpten sie ihm die Kapuze über den Kopf und rissen ihn abrupt nach hinten. Ihm blieb gerade noch die Zeit für einen letzten, verzweifelten Atemzug, bevor die Welt um ihn herum in einem Meer aus Wasser versank. Wasser anstelle von Luft zum Atmen. Wasser anstelle von Licht. Der Tod in den erbarmungslosen Fluten, der ihn mit seinen kalten, gnadenlosen Fingern in die Tiefe ziehen wollte. Und oben in der Ecke plärrte der Fernseher auf voller Lautstärke und quälte seine Ohren, sobald sie ihm die Kapuze vom Kopf zogen und er wieder Luft bekam. Ohne Pause flackerten die immer gleichen, verhassten Bilder über den Bildschirm: quer durch die Innenstadt von New York tanzende
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