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Gevatter Tod

Gevatter Tod

Titel: Gevatter Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett
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randwärts.
    Mehrere Schiffe lagen vor Anker, kleine Küstenkutter mit nur einem Segel. Das Reich riet seinen Bürgern ab, sich zu weit zu entfernen, wies häufig darauf hin, sie könnten beunruhigende Dinge sehen. Aus dem gleichen Grund war an den Grenzen eine hohe Mauer errichtet worden, auf der die Ordentliche Garde patrouillierte. Ihre Aufgabe bestand in erster Linie darin, allen jenen Leuten ordentlich auf die Finger zu treten, die mit dem Gedanken spielten, für ein paar Minuten nach draußen zu gehen und ein wenig frische Luft zu schnappen.
    Das geschah natürlich nicht sehr oft, denn die meisten Untertanen des Sonnenkaisers gaben sich durchaus damit zufrieden, auf ihrer Seite der Mauer zu leben. Philosophen haben zweifelsfrei festgestellt, daß praktisch jeder auf der einen oder anderen Seite irgendeiner Mauer wohnt, und sie geben folgenden Rat: Entweder findet man sich damit ab, oder man muß sich widerstandsfähigere und schmerzunempfindlichere Finger wachsen lassen.
    »Wer schmeißt hier den Laden?« fragte Ysabell, als sie den Hafen überquerten.
    »Ein junger Kaiser, kaum mehr als ein Kind«, erwiderte Mort. »Aber ich glaube, um die eigentlichen Regierungsgeschäfte kümmert sich der Großwesir.«
    »Trau nie einem Großwesir!« murmelte Ysabell düster.
    Der Sonnenkaiser hatte diese Weisheit längst verinnerlicht. Sein Großwesir (er hieß Neun Drehende Spiegel) vertrat einen ziemlich klaren Standpunkt, wenn es darum ging, wer über das Reich herrschen sollte – in solchen Fällen zeigte er immer auf sich selbst –, und der Junge wurde allmählich groß genug, um Fragen zu stellen wie: »Glaubst du nicht, mit einigen Toren wäre die Mauer weitaus hübscher?« und »Ja, aber wie sieht es auf der anderen Seite aus?« Der Wesir fühlte schon bald Mitleid mit dem Kaiser und beschloß, ihn von der schrecklich schweren Bürde seiner Neugier zu befreien: mit Gift und einem Grab in gelöschtem Kalk.
    Binky landete auf sorgfältig geharktem Kies vor dem großen, niedrigen Palast, und seine Hufe brachten erhebliche Unordnung in die allgemeine Harmonie des Universums. 8 Mort stieg ab und half Ysabell vom Rücken des Hengstes.
    »Versprich mir, daß du mich nicht behinderst!« bat er sie ernst. »Und stell auch keine Fragen.«
    Er eilte einige lackierte Stufen hoch, lief durch stille Zimmer und blieb gelegentlich stehen, um sich anhand der Lebensuhr zu orientieren. Am Ende eines langen Flurs bemerkte er ein verziertes Gitter und blickte in den Saal, in dem der Hof gerade das Abendessen einnahm.
    Der junge Sonnenkaiser saß im Schneidersitz am oberen Ende der Matte, und hinter ihm lag der Majestätenmantel aus Ungeziefer und Federn. Er schien ihm langsam zu klein zu werden. Die Plätze der anderen Regierungsangehörigen berücksichtigten eine recht komplizierte Rangfolge im Schloß. Der Großwesir fiel sofort auf: Mit unübersehbarem Mißtrauen stocherte er in seiner Schüssel, die Mus und gekochte Algen enthielt. Niemand schien zu sterben.
    Mort setzte den Weg fort, ging um eine Ecke und stieß fast gegen einige Soldaten der Ordentlichen Garde. Sie standen vor einem Guckloch in der Papierwand und reichten mit verstohlenem Gebaren eine Zigarette von Hand zu Hand.
    Auf Zehenspitzen kehrte Mort zum Gitter zurück und hörte folgendes Gespräch:
    »Ich bin der Unglücklichste aller Sterblichen, o Immanente Präsenz, daß ich ein solches Etwas in meinem ansonsten sehr schmackhaften Mus finden muß«, klagte der Wesir und hob die Stäbchen.
    Die Anwesenden reckten die Hälse, und Mort folgte ihrem Beispiel. Er war geneigt, den Ausführungen des Großwesirs zuzustimmen, denn das Etwas sah aus wie ein blaugrüner Klumpen, aus dem einige gummiartige Schläuche heraushingen.
    »Dafür werde ich den Kaiserlichen Zubereiter zur Rechenschaft ziehen, Ehrwürdiger Gelehrter und Fanal der Wissenschaft«, erwiderte der Kaiser. »Wer hat die Rippchen stibitzt?«
    »Nein, o Scharfsinniger und Einfühlsamer Vater Eures Volkes«, widersprach der Wesir. »Ich wollte mich nicht etwa beklagen, sondern darauf hinweisen, daß dies hier die Milzblase eines Puffaals aus den Tiefen des Meeres zu sein scheint. Es heißt, es sei die köstlichste aller Köstlichkeiten, und sie gebührt allein jenen, die das besondere Wohlwollen der Götter genießen. Ja, so steht es geschrieben. Selbstverständlich maße ich mir eine solche Ehre nicht an. Ganz im Gegenteil: Ich verneige mein elendes Selbst vor Eurer strahlenden Größe. Möge Euch der leckere

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