Gewäsch und Gewimmel - Roman
Streifen in ihrem immer geheimnisloser werdenden Gesicht und war, ohne Erklärung, stolz darauf. Sabine ballte die Fäuste: »Daß eine derart Nullundnichtige, bloß weil unser Junge sie schrecklich liebt, so grausam viel Macht erhält!« Sie hätte dem Mädchen wohl gern das ganze Gesicht zerschnitten.
Die meisten Vorschläge machte Finnland. Er wurde von Hans tüchtig dafür gelobt. Das tat ihm so wohl, daß er plötzlich sagte: »Hans-vom-Hochmoor-Straße«. Da brüllten die anderen wie abgesprochen, wie aus einem Mund: »Anadachaussee«. Das kam vom vielen Weinkonsumieren. Doch, manche waren schon regelrecht besüffelt. Ich selbst äußerte keine einzige Idee, weil ich die Zeit über denken mußte, daß die Sache mit den Waldwesen, den liebenswürdigen und bösartigen und mit denen, die beides abwechselnd sind, eigentlich nicht so versponnen ist, wie in der Nüchternheit getan wird. Man benötigt sie doch, diese Gespensterchen, wenn man hier herumgeht. Wie soll man denn, wenn man die Geistchen, dieses Dunst- und Wurzelvolk mit seinen alten Namen, nicht hat, die einzelnen Stimmungen, die einanderso schnell ablösen, je nachdem, wie das Licht einfällt, überhaupt auseinanderhalten?
Manchmal, während des Getöses, an dem sich verblüffenderweise die schwierige Jeanette mit hochroten Wangen beteiligte, und sogar einmal zum Scherz Bäder eine Walnuß vom Vorjahr an den Kopf warf, dann, ehrlich gesagt, sehr charmant, geduckt abwartete, ob er das komisch finden würde, manchmal beobachtete ich unsern Herrn Hans schärfer. Bäder war so beschwipst, daß er den Nußwurf an seine Schläfe gar nicht mitbekam, aber Hans, der viel getrunken hatte, jedoch besser daran gewöhnt war, sah uns mit seinen blitzschnellen Blicken, eher Blitzen, denn schon waren sie wieder vorbei, unauffällig an. Ja, er durchschaute uns auch jetzt. Er erkannte, daß wir noch einmal von Herzen blöde, unbeschwerte Kinder sein wollten und daß es uns nur in seiner Nähe gelang, ohne uns vor uns selbst albern vorzukommen und einer vor dem Angesicht des anderen.
Das Schönste war, daß es sich ja um gescheite Leute handelte, erfolgreich im großen und ganzen, im Leben, wo es zählt, in der rauschenden Gegenwart. Sie spürten, gerade weil sie so stark angeheitert waren, mit der Haut, mit dem Körper, die Blicke von Hans vermutlich nicht weniger als ich. Warum fühlten sie sich so wohl, wenn er sie durchschaute? Weil wir dann etwas Bestimmtes sein durften, etwas Festes, das, was Hans in uns sehen wollte, etwas, zu dem man in dieser glücklichen Stunde sagen konnte: So und nicht anders ist es um euch bestellt!
Alle brachen nach diesem Abend gemeinsam auf. In der Garderobe, im Durchzug, denn die Terrassentür stand weit offen, um den Geruch der gemähten Wiese hereinzulassen, im Kerzenschein, denn niemand wollte sich, erst recht nicht die Frauen, so spät noch im eisigen elektrischen Licht zeigen, sagte Hans zum Baumarktbesitzer Zock laut in vertraulichem Ton: »Finanzielle Einbußen, wirtschaftliche Einbrüche, weniger Gewächshäuser, weniger Obelisken und Rosenbögen, Verluste allenthalben, ichweiß. Aber leben wir nicht in Saus und Braus? Müssen Weib und Kinder etwa hungern?« Dazu hob er, jetzt ohne Jackett, beide Arme, und uns, besonders den Frauen, entging wieder mal nicht die freie Durchsicht auf seine Achselhöhlen, nein, trotz der dämmrigen Beleuchtung nicht.
Wir sahen Magdalena an, keine andere käme in Frage für die delikate Aufgabe, Hans, ohne daß er sich sträubte, zur Übergabe des löchrigen Pullovers an weibliche Hände für eine kurze Zeit zu überreden. Eine doppelt schwierige Sache, denn wir kannten das Muster noch gar nicht. Es waren indianische Ornamente eingewoben oder, ich verstehe nichts davon, eingestrickt. Er hatte ihn wahrscheinlich jeden Tag bei der Arbeit getragen, gedankenlos oder weil er sich nicht davon trennen wollte. Eine Liebesgabe von Anada, und schon so zerschlissen? Mußte sie das nicht ärgern? Mit diesem Argument würde die mütterliche Magdalena ihn verwirren und umgehend Erfolg haben.
Hehe stand etwas seitlich. Er hielt wieder einen Wurstring in der Hand. Als er vortrat, löschten im Wind die Kerzen. Die Terrassentür schlug zu, daß es klirrte. Einen Moment lang herrschte fast vollständige Dunkelheit, dann knipste jemand das Licht an. Wir befanden uns schlagartig im hellen Frost und beäugten einander verlegen. Sofort war niemand mehr betrunken, keiner angeheitert oder heiter. Merkwürdig, wie sogar
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