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Gewäsch und Gewimmel - Roman

Gewäsch und Gewimmel - Roman

Titel: Gewäsch und Gewimmel - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Klett-Cotta Verlag
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die Männer versuchten, ihr Gesicht so gut es ging zu verbergen, indem sich der eine an seiner Jacke, der andere betreten an seinen Schnürriemen zu schaffen machte. Finnland putzte sich mit infantiler Gründlichkeit die Nase. Er schien die Welt dabei um sich her zu vergessen, damit sie ihn vergäße, während die Frauen (bis auf die junge Ilona, die sagte: »Wer hat uns denn das eingebrockt?«) schuldbewußt, ja tatsächlich, als hätten sie eine nun aufgedeckte Täuschung begangen, die Schultern hochzogen und sich vornüberbeugten.
    Hehe stand noch immer im strengen Licht. Er hielt weiter den Wurstring in der Hand. Es waren ja nun alle mit sich beschäftigt,nur er nicht, nur ich nicht und Hans war es auch nicht. Wir drei erinnerten uns offenbar an einen anderen, fröhlich ausgegangenen Abend von früher, an dem Hans genauso eine ökologische Wurst vor sich hergetragen hatte, als Auszeichnung, als Ehrenbezeugung für ihn, den Hochliebling. Hans bekam ihn damals als Geschenk des lebensprallen Metzgers, des glücksgemütlichen, der jetzt ein anderer war, ein Fleischer noch immer vielleicht, der treueste Freund wie eh und je, jedoch, es trat offen zutage, ein todkranker Mann.
    In der ersten Sekunde, als das Licht so bösartig über uns hergefallen war, hatte er noch gelacht, aus alter Herzlichkeit, aus lieber Gewohnheit, das sah ich, das sah auch Herr Hans. Dann aber kam die Erinnerung, durch den Wurstring kam sie schnell herbei, durch das Wiederholen der Geste und den unseligen Vergleich. Ja, wir standen ganz einsam da, ohne daß die anderen es ahnten, und Hans war nun nicht weniger bleich als Hehe in seinem unverhüllten Elend. Ich witterte auf einmal an ihm die Angst vor dem Lebensende. Sie roch schlimmer als meine, früher, in der Nacht, bevor ich Herrn Hans kennenlernte und sie sich dann verloren hat. Hans wollte sprechen, es gelang ihm nur ein Zucken an seinem starken Hals, ein röchelndes Räuspern, offiziell noch immer ein Räuspern. Auch Hehe sagte kein Wort. Die zwei hatten gegen etwas anzukämpfen, und es fiel ihnen schwer, den Feind zu besiegen, der sich ihrer bemächtigen wollte. Beide waren so diskrete Menschen.
    Und doch schafften sie es schließlich: Rührung zurückgezwungen, Wurstübergabe, dazu die Tüte mit dem »Hehe« lachenden Schwein. Auch der Metzger stieß sein Gelächter aus, die Lippen dabei hinter dem schütter gewordenen Schnauzbart versteckt.
    So kam es, daß Hans sich von Sabine überhaupt nicht verabschiedete. Nun war sie es, die verlassen dastand, im Gesicht wurden die ersten tiefen Furchen sichtbar, ihre ausgestreckte Hand,ohne Gegendruck, pendelte für Sekunden ratlos in der Luft. Um sie zu trösten, ohne ihr dabei zu nahe zu treten, erzählte ich ihr in der Nacht widerwillig von dem kleinen Vorfall zwischen den beiden Freunden. Ich verriet ihn ihr und verabscheute mich deswegen.
    Wo bin ich eigentlich?
    Die Gegend ist mir unbekannt, alles grün, ziemlich dunkel, obschon es noch nicht auf die Nacht geht. Das ist hier nicht mehr das Schutzgebiet, hier sind Massen von Ranken, Brennesseln, Farn, wenig Licht. Es ist irgendwo im Forstgebiet, wo sie die Bäume für den Nutzholzeinschlag fällen. Schon jetzt so viel Laub, daß es den Himmel verdeckt? Die vielen Fichten, natürlich, die sind’s. Ich sollte mich zum Nachdenken wohl auf einen Baumstamm setzen, da, beim Tümpel. Nur dürfen mir in der Düsternis nicht die Augen zufallen, wenn die Nachtkühle aus dem Wasser steigt, ich atme ja schon den feuchten Dunst. Bange ist mir noch nicht, nur weiß ich den Weg nicht. Kein Reiter, kein Wanderer in Sicht. Ein Vogel, das schon, ich folge ihm keinesfalls ins Dickicht, in die unsichtbaren Fallen, die manche Abendvögel hier aufstellen aus Necklust und aus Rachsucht wegen menschlicher Untaten. Ich habe davon gehört. Dann, heißt es, ist Vorsicht geboten.
    Wie sich das alles in Unsicherheit zu wiegen beginnt. Kam ich von rechts oder links? Verschlingt sich der Weg in sich selbst? Die Fische zeichnen großartige Pfeile auf die Wasseroberfläche, alle Spuren kreuzen sich, wer weiß, was sich unter dem schlammigen Wasserspiegel alles verbirgt. Schon steigen Dämpfe auf, wallen hoch zu mir hin. Die Molche, die Frösche, die Kröten, alte Freunde von mir. Aber sind sie es auch hier noch, im Gebiet des Försters, der mit Hans verfeindet ist? Mich täuscht nicht die schwarze Spalte, die rings zwischen Land und Wasser um den Teich herum läuft. Die Pflanzenpolster wuchern vom Ufer, um den klaffenden

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