Gewäsch und Gewimmel - Roman
beim Gehen zusähe! Ein einziges Mal nur. Wie lachten wir überdas Wiedersehen mit alten Freundinnen, weil sie alle nach ihrer schönen Jugendzeit aussahen wie die Sparkassenfilialen in den Dörfern und Kleinstädten, wie amüsierten wir uns besonders über Marita und Edith, die mit ihren Männern am Wochenende gehorsam die Besichtigungen machen, die ihnen die Lokalzeitung anrät: Bärenjunge im Zoo, Magnolienblüte im botanischen Garten, Streifzüge über die Weihnachtmärkte der Umgebung. Auch über Carlo haben wir zu unserer Freude gehechelt, Carlo, vor Jahren in Bologna Molekulargenetiker, der nach dem Schlaganfall nur noch im Sessel sitzt, grinst und einen sizilianischen Dialekt spricht, den kein Lebender versteht! Wenn ich da an den bewundernswerten Herrn Wuth denke, der immer krank ist und doch ständig auf Reisen, Junge, Junge! Wegen seiner Krampfadern soll er immer schnell gehen, darf nicht lange stehen, auch nicht stehenbleiben, wenn er Leute trifft. Und doch tut er es aus Höflichkeit, obschon es dann tagelang ganz schlimm kommt mit den Beinen. Ach du meine Güte, da fällt mir das Reisebüro van Maake ein, die ihr »van« erst zu »v« abgekürzt und dann frech ein »von« daraus gegaunert haben. Fast so blöd wie der Schuft und Schlawiner Grafotto, der immer eine Pause zwischen »Graf« und »otto« macht. Mann o Mann! Ich kenne den Spitzbuben noch aus der Firma. Er hat sie mehrfach elegant reingelegt und sich rechtzeitig verkrümelt. Habe ich etwa nie von den Erfolgen des Schlitzohrs erzählt? Man munkelte außerdem, daß er bei allem vornehmen Getue eine geheime Schwäche für diesen Flash- oder Flat-Rate-Sex hat, aber nicht aus Sparsamkeit!
Manchmal fallen mir auch die drei Großverdiener ein, mit denen ich damals hintereinander zum vornehmen Essen war. Dreimal nacheinander und mir gegenüber juristische Systeme, von Haut und Knochenmasse umschlossen, samt Vokabular und den einschlägigen Tricks! Nun sag doch selbst: Sind das nicht wunderbare Schicksale? Wie hieß noch mal dieser schiefe Typmit S? Söbler? Senkel? Ich fände es so schön, wenn du, weil ich flattrig und zittrig bin, fahrig und wie zerstreut in alle Winde, wenn du kämst. Wir würden wieder spülen, aber auch telefonisch ginge zur Not, wenn du mir irgendwelche Lebensläufe erzähltest, sehr gern solche von Leuten, die sich leidenschaftlich nacheinander verzehren, wenn du da vielleicht Beispiele kennst, zehn Sätze genügen jeweils, kommt nicht drauf an, nur diese kurzangebundenen Lebensläufe, die tun mir so gut. Immer nur zehn Sätze und: Schluß. Söbler? Senkel? Sengeler?
Mensch, wäre das prima!
Deine Ruth
Herta
Herta aber wundert sich lieber, daß gestern abend die zunehmende Mondsichel, wie aus bisher geheimen Ressourcen schöpfend, so strahlend zwischen zwei kräftig blinkenden, stark angenäherten Sternen in der reinen Schwärze stand und heute ein massiv trübes Licht herrscht, das von nichts zu wissen scheint. Es wundert sie, ohne sie zu bedrücken. Sie fühlt sich in ihrem Zoo beurlaubt vom sonstigen Leben. Herta benötigt Ruth und ihre Geschichten kaum noch, nein, gar nicht mehr. Die Tiere nehmen sie in ihre Wildheit auf. Wie berauschend, wenn an den Deckflügeln eines Vogels ein schmaler Streifen Glutrot die Pracht darunter verrät und die Schnäbel manche Eigenschaften der Menschen verkörpern! Kürzlich, als sie krank war, drängten sie sich alle des Nachts um ihr Bett und zeigten ihre Abzeichen vor, goldene Schöpfe, grasgrüne Stirnen, feurige Wangenflecken, leuchtende Streifen der Flankenfedern, metallisch schimmernde Kehlen und Halskrausen, die Augen teuflisch gerändert. Suchten sie nicht Zuflucht und Schutz bei ihr? Erstaunlich, daß sie mit tränennassem Gesicht aufwachte?
Nein, es war ja vor Entzücken.
Anselm von Canterbury
Manchmal fürchtet Clemens Dillburg, der Unglauben könnte ihn in der Nacht unbeobachtet überschleichen, im Schlaf überwuchern, sich über ihn wälzen und hätte ihn, Dillburg, am Morgen dann für immer besiegt und erstickt. An anderen Tagen besteht die Gefahr im hellwachen Tüfteln des Gehirns und die Rettung gerade im tiefen, dummen Durchschlafen.
Ob Anselm von Canterbury mit seiner scharfsinnigen grammatikalisch-dialektischen Methode des Gottesbeweises, der allerdings vom Mönch Gaunilo unter Einsatz hoher Intelligenz bezweifelt wurde, im verborgensten Gefühlsgrund seines Herzens weniger gebebt hat als er, Clemens, der morgen wieder auf dem konkreten Gymnastikball hüpfen
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