Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens (German Edition)
lebensentfremdend ansehe – aber fällt Ihnen auf, daß eine Wertschätzung in dieser Form wenig darüber aussagt, was im Sprecher vor sich geht? Er oder sie wird zu jemandem, der Urteile abgibt. Ich definiere Urteile – ob positiv oder negativ – als lebensentfremdende Art zu kommunizieren.
Komplimente – auch wenn sie noch so positiv klingen – sind oft Urteile über andere.
In den Firmenseminaren, die wir anbieten, verteidigen die Manager ihre Praxis, Lob und Komplimente zu verteilen, gerne damit, daß „es funktioniert“. „Forschungen haben ergeben“, behaupten sie, „daß die Arbeiter besser arbeiten, wenn sie gelobt werden. Und das gilt auch für Schulen: Wenn die Lehrer ihre Schüler loben, dann lernen die Schüler besser“. Auch wenn ich mich von der Existenz dieser Forschungsergebnisse selbst überzeugt habe, glaube ich, daß jemand, der gelobt wird, zwar besser arbeitet – aber nur kurzzeitig. Sobald er die Manipulation hinter der Anerkennung bemerkt, läßt die Produktivität wieder nach. Ich empfinde es als äußerst beunruhigend, daß das Schöne einer Wertschätzung verdorben wird, wenn die Menschen anfangen, eine heimliche Absicht dahinter zu entdecken: Man will etwas von ihnen.
Darüber hinaus können wir auch nicht sicher sein, wie unsere Botschaft gehört wird, wenn wir eine positive Rückmeldung einsetzen, um andere zu beeinflussen. Es gibt da einen Comic, wo ein Indianer zu einem anderen sagt: „Schau mal, wie ich die moderne Psychologie auf mein Pferd anwende!“ Er führt seinen Freund dann in die Nähe des Pferdes, so daß es das Gespräch mithören kann, und sagt laut: „Ich habe das schnellste und mutigste Pferd im ganzen Westen!“ Das Pferd schaut traurig und sagt zu sich: „Wie soll ich das denn finden? Er war weg und hat sich ein neues Pferd gekauft.“
Drücken Sie Wertschätzung aus, weil Sie etwas feiern, und nicht, weil Sie manipulieren wollen.
Wenn wir mit der GFK Wertschätzung ausdrücken, dann nur um etwas zu feiern, nicht um etwas zu bekommen. Unsere einzige Absicht ist es, die Art, wie unser Leben durch andere schöner wurde, zu feiern.
Die drei Bestandteile der Wertschätzung
Die GFK unterscheidet ganz klar drei Bestandteile im Ausdruck einer Wertschätzung:
1. Die Handlungen, die zu unserem Wohlbefinden beigetragen haben;
2. unsere jeweiligen Bedürfnisse, die sich erfüllt haben, und
3. die angenehmen Gefühle, die sich durch die Erfüllung dieser Bedürfnisse eingestellt haben.
Die Abfolge dieser „Zutaten“ kann variieren; manchmal werden alle drei gleichzeitig durch ein Lächeln oder ein einfaches „Dankeschön“ vermittelt. Wenn wir jedoch sichergehen wollen, daß unsere Anerkennung richtig angekommen ist, dann ist es sehr wertvoll, wenn wir die sprachliche Gewandtheit entwickeln, alle drei Teile in Worte zu fassen. Das folgende Gespräch zeigt, wie ein Lob in eine Wertschätzung umgewandelt werden kann, die alle drei Bestandteile umfaßt.
So sagen wir „Dankeschön“ in der GFK: „Das hast du getan; so habe ich mich gefühlt; dieses Bedürfnis von mir hat sich erfüllt.“
Teilnehmerin: (Kommt am Ende eines Workshops auf mich zu.): Marshall, du bist toll!
MBR: Mir gelingt es nicht, soviel von deiner Wertschätzung aufzunehmen, wie ich gerne aufnehmen würde.
Teilnehmerin: Warum, was meinst du?
MBR: Ich habe in meinem Leben schon unzählige „Komplimente“ – positive wie negative – bekommen, aber ich kann mich nicht daran erinnern, daß ich durch die Einschätzung anderer wirklich einmal etwas erfahren hätte. Ich würde gerne durch deine Wertschätzung etwas erfahren und mich darüber freuen, aber dazu brauche ich mehr Informationen.
Teilnehmerin: Zum Beispiel?
MBR: Zuerst würde ich gerne erfahren, was ich gesagt oder getan habe, das dein Leben verschönert hat.
Teilnehmerin: Naja, du bist so intelligent.
MBR: Ich befürchte, daß du gerade ein weiteres Urteil über mich abgegeben hast, das aber immer noch die Frage offenläßt, was habe ich getan, das dein Leben verschönert hat?
Die Teilnehmerin muß eine Weile nachdenken, aber dann zeigt sie auf ihre Notizen, die sie während des Workshops mitgeschrieben hat.
Teilnehmerin: „Schau, diese beiden Punkte. Es waren diese beiden Sachen, die du gesagt hast.“
MBR: Aha, es sind also diese beiden Dinge, die ich gesagt habe: Das schätzt du sehr.
Teilnehmerin: Ja.
MBR: Als nächstes möchte ich gerne wissen, wie du dich fühlst, weil ich die beiden
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