Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gewitter über Pluto: Roman

Gewitter über Pluto: Roman

Titel: Gewitter über Pluto: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
Liebe trägt. Herr im Himmel, was soll das bedeuten?
    Nun, alles, nur kein Zufall, fürchte ich. Und mir kommt der Gedanke,
die Aktion abzublasen. Doch wenn ich das tue, gefährde ich mich selbst. Die auf
X könnten meinen, ich versuchte, Claire zu schützen.
    Ich habe etwas zu verlieren. Nachdem ich die ersten drei Jahre alleine
in Wien gelebt habe und immer nur alle paar Wochenenden bei Maritta in Botnang
gewesen bin, hat sie sich erweichen lassen und ist zu mir gezogen. Sie hat hier
eine kleine Praxis eröffnet, nicht ohne täglich zu betonen, wieviel
anstrengender die Wiener Patienten sich aufführen. Wiener Patienten, sagt sie,
sind, wie anderswo auch, Ärzte ihrer selbst, aber sie suchen nicht eine
medizinische Lösung, sondern einen medizinischen Streit, es scheint ihnen
weniger um Heilung zu gehen als um Krankheit. Das ist ein Klischee, welches
prächtigst gedeiht. »Diese Leute«, erklärt Maritta, »sind verliebt in ihre
Krankheit. Und sie werden ganz verrückt, wenn man sie ihnen nehmen möchte.«
    Und trotzdem, unser Leben in dieser Stadt ist ein gutes. Eine
komfortable Villa, gut gelegen, ein paar Freunde, gemeinsame Spaziergänge,
sonntags in die Museen, in die Konditoreien, in den grünen Prater, dort, wo
unsere Lieblingskapelle steht, Mariagrün . Könnten wir
noch einmal heiraten, dann in dieser kleinen Kirche. Mein Gott, das wäre eine
Idee! Sich scheiden zu lassen, um erneut heiraten zu können, scheiden lassen,
heiraten …
    Wenn ich all das nicht verlieren will, muß ich das Ding durchziehen.
Mit Ausflüchten werde ich nicht weiterkommen. Keine Chance. Durchziehen und
diesen Mann dort drüben im Auge behalten.

27  |  Clooney und Auden
    Lorenz Mohn sah sie bereits, als sie noch auf der Straße
standen und sich dort eine Weile unterhielten. Eine Gruppe von Männern, alle in
schwarzen Anzügen, wobei einige wegen ihrer dunklen Haut und der schwachen
Straßenbeleuchtung nur aus ihren weißen Hemdkragen zu bestehen schienen. Eine
Mannsbildgruppe also, in deren Mitte Claire Montbard in einem hellen
Sommerkleid thronte und diese apostolische Versammlung quasi von ihrem Zentrum
her umfaßte. Durchaus spinnenartig, aber auf eine dekorative Weise
spinnenartig. Ohnehin sind Spinnen der Höhepunkt der Schönheit wie auch der
Grausamkeit. Geradeso, als würde das zusammengehören.
    Die Gäste betraten nun das Lokal. Claire Montbard gab den Kellnern
ein Zeichen, welche mittels einiger tänzerischer Bewegungen einen Durchgang
schufen, wo vorher keiner gewesen war. Jedenfalls gelangten die nicht nur
dünnen Freunde Afrikas ungehindert in den hinten gelegenen, separierten Raum.
Sofort wurden Flaschen des berühmten Hausweines aufgetragen, eines Weins,
dessen Anziehungskraft nicht zuletzt vom Fehlen der Etiketten bestimmt war.
Selbiger Mangel suggerierte eine magische Bedeutung. (Das Magische rührt
naturgemäß nicht vom Wissen, sondern vom Nichtwissen her, nicht vom Sichtbaren,
sondern vom Unsichtbaren. So wie man auch die ganze Claire Montbard als eine
zwar sichtbare, aber im Grunde etwas Unsichtbares verkörpernde Frau bezeichnen
könnte. In der Art unsichtbarer Superhelden, die eine Maske tragen, wenn sie
von den anderen gesehen werden wollen.)
    Lorenz hatte einen guten Blick auf die exklusive Gesellschaft, da er
genau neben der aus vielen Scheiben zusammengesetzten Trennwand saß.
Beziehungsweise diese Wand günstigerweise zu seiner rechten Seite gelegen war.
Verstehen allerdings vermochte er so gut wie nichts, nicht zuletzt, da der
Lärmpegel im Hauptraum beträchtlich ausfiel. Sehr viel enger und gedrängter
ging es gar nicht mehr. Und eigentlich war Lorenz der einzige, der in seiner
einzelgängerischen Eckposition über ein wenig Platz verfügte.
    In einem kurzen Moment trafen sich Lorenz’ Augen durch eine der
A4-großen Scheiben hindurch mit jenen Claire Montbards, wobei Lorenz’ Blick
eine gewisse Verzweiflung bekundete. Wie um Himmels willen sollte er hier, von
seinem runden Tischchen aus – seinem Inselchen –, irgend etwas verhindern
können? Doch Montbards Ausdruck wiederum war so fordernd und bestimmend wie eh
und je.
    Lorenz ließ seinen Kopf unter der Begleitung eines leisen Seufzers
sinken und stierte auf den hellbraunen Halbkreis, der tief unten in seiner
Kaffeetasse einen See bildete, welcher matt und trostlos dalag. Als er seinen
Kopf wieder anhob,

Weitere Kostenlose Bücher