Gezaehmt im Bett einer Lady
wegen ihrer Ausgeburt der Hölle zu unternehmen.
Das Letzte war es, was Jessica am meisten Sorgen bereitete. Charity war in den vergangenen vierzehn Tagen nirgends gesehen worden, in genau der Zeit, in der Dominicks Versuche, Aufmerksamkeit zu erregen - als das deutete sie seine Schreckenstaten nämlich -, immer verzweifelter geworden waren.
Jessica war sich sicher, dass es die Aufmerksamkeit seines Vaters war, die er suchte. Da Dain für ihn unerreichbar war, bestand der einzige Weg, sie zu erlangen, darin, das Dorf in helle Aufregung zu versetzen. Jessica vermutete weiterhin, dass die Mutter ihn zu den Tumulten irgendwie angestiftet oder ermutigt hatte. Dennoch war die Methode so riskant, dass es dumm war. Es war wesentlich wahr-scheinlicher, dass Dain seine Drohung wahr machte, Charity deportieren zu lassen, statt ihr Geld zu zahlen, damit sie verschwand - falls es das war, was sie wollte.
Die andere mögliche Erklärung, die noch verstörender war, ergab weniger Sinn. Charity konnte das Kind auch einfach sich selbst überlassen haben und soweit man wusste, konnte der Junge in Ställen geschlafen haben oder draußen auf den Mooren, im Schutz der Felsen. Aber Jessica fiel es schwer, zu glauben, dass die Frau einfach gegangen war, mit leeren Händen. Sie konnte sich keinen reichen Liebhaber geangelt haben, sonst wüsste ganz Dartmoor darüber Bescheid. Diskretion war so gar nicht Charity Graves’ Sache, glaubte man Phelps.
In jedem Fall hatte Jessica letzte Nacht entschieden, dass man dem Jungen nicht länger erlauben konnte, in der Gegend Amok zu laufen.
Die Geduld der Bewohner Athtons war bis zum Zerreißen gespannt. Eines Tages in näherer Zukunft würde ein Mob empörter Dorfbewohner nach Athcourt marschieren und dort vorstellig werden. Jessica hatte so wenig vor, dieses Ereignis abzuwarten, wie sie beabsichtigte, es darauf ankommen zu lassen, dass ein möglicherweise verlassenes Kind an Hunger und Kälte starb oder in einem der tückischen Treibsandlöcher umkam. Sie konnte nicht länger darauf warten, dass Dain zu Sinnen kam.
Dementsprechend war sie zum Frühstück gegangen und hatte die leicht gequälte, angespannte Miene aufgesetzt, die Tante Claire immer trug, wenn sie unter einem ihrer tödlichen Migräneanfälle litt. Alle Diener hatten es bemerkt, und Bridget hatte sich zweimal auf dem Weg zur Kirche erkundigt, ob es Ihrer Ladyschaft nicht gut ginge. „Ach, nur Kopfschmerzen, das ist alles“, hatte Jessica geantwortet. „Die werden nicht lange anhalten, da bin ich sicher.“
Nachdem sie ausgestiegen waren, trödelte Jessica herum, bis Joseph zum Backhaus gegangen war, wie er es meist tat, um seinen jüngeren Bruder zu besuchen, der dort angestellt war, und die anderen Dienstboten entweder schon in der Kirche waren oder auf dem Weg zu ihren eigenen Sonntagmorgenzerstreuungen. Damit blieb nur eine unerwünschte Aufpasserin zurück: Bridget.
„Ich glaube, ich sollte besser auf den Gottesdienst verzichten“, erklärte Jessica und rieb sich die rechte Schläfe. „Körperliche Betätigung an der frischen Luft hilft immer gegen Kopfschmerzen, denke ich. Was ich jetzt brauche, ist ein schöner ausgedehnter Spaziergang. Eine Stunde oder so sollte reichen.“
Bridget war in London aufgewachsen. Ihre Vorstellung von einem schönen ausgedehnten Spaziergang bestand aus dem Weg von der Haustür zur Kutsche. Es war leicht genug für sie zu sehen, dass eine Stunde oder so in der gewohnten Geschwindigkeit ihrer Herrin vier bis fünf Meilen hieß. Daher erhob die Zofe auch nur der Form halber Einspruch, als Phelps sich anerbot, die Herrin an Bridgets Stelle zu begleiten, und verschwand rasch in der Kirche, bevor Phelps seine Meinung ändern konnte.
Als Bridget außer Sicht war, drehte Jessica sich zu Phelps um. „Was haben Sie letzte Nacht gehört?“, fragte sie.
„Freitagnachmittag hat er Tom Hambys Kaninchen laufen lassen. Tom hat ihn bis zur südlichen Mauer um den Park Seiner Lordschaft verfolgt. Gestern Nachmittag hat er Jem Furses Lumpenkisten geplündert, und Jem ist ihm bis zur selben Stelle nachgerannt.“
Phelps’ Blick richtete sich nach Norden, in Richtung des Parks. „Der Junge verzieht sich dorthin, wohin sich niemand ihm zu folgen traut, direkt bis auf den Privatbesitz Seiner Lordschaft.“
In anderen Worten, der Junge sucht den Schutz seines Vaters, dachte Jessica.
„Es gibt da eines dieser kleinen Sommerhäuser nicht weit von der Stelle, wo sie seine Spur immer verlieren“,
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