Gezaehmt im Bett einer Lady
gemacht. Aber ich wusste es nicht, weil meine Ehefrau mir nichts sagt. Ich habe wirklich geglaubt, dass Miss Trent mittellos sei. Bis gestern Abend, als ein Freund, ein Künstler, der für Christie’s Zeichnungen anfertigt, meine Fehleinschätzung korrigiert hat.“
Mr Vawtry musterte seinen Freund beunruhigt. „Was meinen Sie? Alle wissen, dass Bertie Trents Schwester seinetwegen keinen Penny hat.“
Beaumont schaute sich um. Dann beugte er sich über den Tisch und sprach mit leiser Stimme: „Erinnern Sie sich noch an das modrige kleine Bild, von dem Dain uns erzählt hat? Das, welches Miss Trent für zehn Sous von Champtois erstanden hat?“
Vawtry nickte.
„Es hat sich herausgestellt, dass es sich um eine russische Ikone handelt, und zudem eine der besten und ungewöhnlichsten Arbeiten der Stroganow-Schule, die es gibt.“
Vawtry schaute ihn verständnislos an.
„Spätes sechzehntes Jahrhundert“, erklärte Beaumont. „Eine Ikonenkunstwerkstatt, von der russischen Adelsfamilie Stroganow gegründet. Die Künstler haben Miniaturen für den Hausgebrauch angefertigt. Sehr sorgfältige Arbeiten, sehr fein und präzise ausgeführt. Kostbare Materialien. Heutzutage begehrte Sammlerobjekte, daher immens teuer. Ihre Ikone ist mit Blattgold gearbeitet, der Rahmen ist aus Gold und mit kostbaren Edelsteinen besetzt.“
„Offenbar mehr wert als zehn Sous“, stellte Vawtry fest und bemühte sich um einen lässigen Tonfall. „Dain hat ja gesagt, sie sei scharfsinnig.“ Er leerte sein Glas in zwei Zügen und füllte es nach. Aus dem Augenwinkel sah er die Schankmagd mit ihrem Essen kommen. Er wünschte, sie würde sich beeilen. Er wollte nicht mehr hören.
„Der Wert liegt natürlich im Auge des Betrachters“, fuhr Beaumont fort. „Ich würde ihn mindestens bei fünfzehnhundert Pfund ansetzen. Bei einer Auktion könnte vermutlich ein Vielfaches davon erzielt werden. Aber ich kenne mindestens einen Russen, der seinen Erstgeborenen verkaufen würde, um das Stück zu bekommen. Zehn-, möglicherweise sogar zwanzigtausend.“
Lady Granville, die Tochter des Duke of Sutherland, eines der reichsten Männer Englands, hatte ihrem Ehemann eine Mitgift von zwanzigtausend Pfund eingebracht.
Solche Frauen, die Töchter von Adeligen, lagen weit außerhalb der Reichweite von Mr Vawtry, zusammen mit ihren immensen Mitgiften. Miss Trent auf der anderen Seite, die Tochter eines unbedeutenden Barons, gehörte zur selben Klasse Landadel wie Mr Vawtry selbst.
Er erkannte nun, dass er die perfekte Gelegenheit gehabt hatte, sie zu gewinnen, nachdem Dain sie in aller Öffentlichkeit beleidigt und bloßgestellt hatte. Sie war verletzbar gewesen. Statt ihr einfach nur seinen Rock zu reichen, wäre Vawtry besser in die Rolle des ritterlichen Kavaliers geschlüpft. Dann hätte er im günstigsten Fall mit ihr am heutigen Tag vor dem Priester stehen können.
Dann wäre die Ikone in seinen Besitz übergegangen, und der gerissene Beaumont hätte ihm helfen können, sie zu Geld zu machen ... Geld, das er investieren konnte. Roland Vawtry hätte sich mit seiner ansehnlichen Frau irgendwo niederlassen und sorglos und komfortabel leben können, nicht länger von den Launen der Fortuna abhängig - oder, um bei der Wahrheit zu bleiben, den Launen des Marquess of Dain.
Stattdessen steckte Roland Vawtry momentan bis zum Hals in Schulden in Höhe von fünftausend Pfund. Obwohl das für viele nicht sonderlich hohe Schulden waren, hätten es für ihn genauso gut Millionen sein können. Wegen der Händler und Kaufleute, bei denen er in der Kreide stand, machte er sich keine großen Sorgen, aber die Wechsel, die er seinen Freunden gegeben hatte, lasteten wie Blei auf ihm. Wenn er sie nicht bald einlöste, hätte er keine Freunde mehr. Ein Gentleman, der es versäumte, seine Ehrenschulden zu begleichen, hörte auf, als Gentleman zu gelten. Diese Aussicht setzte ihm wesentlich mehr zu als die Bedrohung durch Geldverleiher oder das Schuldnergefängnis.
Er schätzte seine Lage als verzweifelt ein.
Gewisse Leute hätten ihm sagen können, dass Francis Beaumont die Verzweiflung eines anderen auf zwanzig Schritt wahrnehmen konnte und es ihm persönlich größte Freude bereitete, sie zu steigern. Doch diese weisen Zeitgenossen waren nicht anwesend, und Vawtry selbst war kein überdurchschnittlich kluger Mann.
Folglich hatte Mr Beaumont zu dem Zeitpunkt, als sie ihre Mahlzeit beendet und ein halbes Dutzend Flaschen des kaum trinkbaren Weines geleert
Weitere Kostenlose Bücher