Gezähmt von sanfter Hand
seinen Blick auf Jamie gerichtet hielt, konnte er beobachten, wie dessen Gesicht bereits ein wenig von seiner unnatürlichen Blässe verlor und die Verzweiflung der Hoffnung wich, so schwach diese zunächst auch sein mochte.
»Also, die Briefe?«
»Ach ja! Natürlich.« Jamie riss sich zusammen. »Ich habe sie in der Bibliothek hinterlegt.«
Noch ehe Richard alle Briefe gelesen hatte, senkte sich draußen bereits wieder die Abenddämmerung herab. Als Jamie von einem »Haufen Briefe« gesprochen hatte, hatte Richard nicht damit gerechnet, dass es sich tatsächlich um einen Stapel von über einem halben Meter Höhe handelte. Und ohne jegliche erkennbare Ordnung. Richard hatte Stunden gebraucht, um die Briefe zunächst einmal zu sortieren, und noch länger, um den Inhalt und die Forderungen zu entziffern.
Und Forderungen hatte es in der Tat gegeben. Eine ganze Menge sogar.
Von Seamus' Antworten auf diese Schreiben existierten zwar keine Durchschriften; aus der fortlaufenden Korrespondenz war seine Haltung jedoch klar erkennbar. Mit vollem Einsatz hatte er Catriona und ihr Tal verteidigt.
Schwer seufzend legte Richard schließlich auch den letzten der Briefe zurück auf den Stapel, stemmte sich aus seinem Sessel hoch, öffnete das unterste Schubfach des Schreibtischs und legte die Briefe in zwei Packen wieder dorthin zurück, wo Jamie sie ursprünglich deponiert hatte. Dann ließ Richard sich wieder in den Sessel sinken und starrte nachdenklich auf die drei Päckchen, die er von dem großen Haufen abgeteilt und auf der Schreibunterlage aufgereiht hatte.
Jeder der kleinen Stapel stammte von einem der nächsten Nachbarn Catrionas. Zwischenzeitlich hatte Richard sich eine Pause gegönnt und war durch die Eingangshalle hindurch und in Jamies Büro gegangen, um sich die Landkarten noch einmal genauer anzusehen. Catrionas Nachbarn waren erpicht auf das Land, das ihr gehörte. Entgegen Jamies Bericht boten jedoch alle drei Catriona noch immer die Heirat an – Sir Olwyn Glean wollte selbst der Bräutigam sein, Sir Thomas Jenner offerierte ihr die Eheschließung mit seinem Sohn Matthew, und Dougal Douglas hatte sich noch nicht festgelegt.
Die Korrespondenz war in jedem Falle recht aktuell und enthielt versteckte Drohungen von beiden Seiten. Seamus war wenig subtil vorgegangen, Glean war herablassend gewesen, Jenner war recht großspurig aufgetreten, und Douglas hatte sich am beunruhigendsten geäußert und die Angelegenheit am präzisesten auf den Punkt gebracht.
Richard zündete die Schreibtischlampe an und las die Briefe noch einmal, jeden Einzelnen – und stapelte sie schließlich alle aufeinander. Mit entschlossener Miene, die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst, warf er einen letzten Blick auf das Päckchen, faltete es zusammen und steckte es in seine Jackett-Tasche.
In einiger Entfernung erklang der Gong zum Abendessen. Richard schob seinen Sessel zurück, erhob sich und eilte ins Obergeschoss hinauf, um sich umzuziehen.
In dieser Nacht wälzte sich Catriona ruhelos in ihrem Bett hin und her. Hellwach starrte sie an die Decke, drehte sich um – und warf sich gleich darauf wieder auf die andere Seite.
Sie konnte einfach nicht einschlafen.
Irgendein kleiner Teufel in ihrem Inneren sagte ihr, warum – und versetzte ihr immer wieder einen Stoß. Genau genommen war es ja auch nur ein kurzer Weg bis zu Richards Zimmer, seinem Bett, seinen Armen.
Mit einem frustrierten Stöhnen versuchte Catriona, ihre Ohren vor der flüsternden Stimme der Versuchung zu verschließen. Sie musste – sie durfte ihr einfach nicht nachgeben.
Catriona wusste ganz genau, was dann passierte: Sie würde sich dazu verleiten lassen, doch zu Richard hinüberzugehen, würde sich einreden, eine Nacht mehr wäre quasi nicht von Bedeutung. Aber ihre einzige Rechtfertigung, zu Richard zu gehen, war der Befehl Der Herrin – dieser Befehl beinhaltete jedoch keine zusätzlichen Nächte zu Catrionas Privatvergnügen. Und zu diesem Zeitpunkt ihres Zyklus waren drei Nächte auch vollkommen ausreichend. Wenn man die Art und Weise betrachtete, wie Richard sie geliebt hatte, waren drei Nächte mehr als genug. Eine weitere Nacht konnte Catriona einfach nicht rechtfertigen.
Aber sie hatte ja bereits gewusst, dass sie wieder in Versuchung geraten würde. Also war sie am helllichten Tag, als ihre Entschlossenheit noch nicht ins Wanken geraten war – und Richard sich in die Bibliothek zurückgezogen hatte –, noch einmal in sein Zimmer
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