Gezinkt
Klingelknopf.
»Hallo?«, meldete sich Rons Bruder einen Moment später.
»Peter, hier ist Kitty. Ich muss dich sehen.«
»Ah, Kitty«, sagte der Bruder. »Wir haben dich erst morgen erwartet. Aber wir freuen uns, dass du hier bist. Komm nach oben. Wir sind alle im Wohnzimmer. Zweiter Stock. Die Tür ist offen. Komm rein.«
Das Summen des Türöffners hallte durch die neblige Nacht.
Priscilla stieß die Tür auf.
Sie ging den Ablauf im Kopf durch. Wenn sie alle zusammen waren, galt es, das gefährlichste Ziel zuerst und möglichst schnell auszuschalten: Das wären etwaige Leibwächter. Und der Freund der Tochter, falls es einen gab. Dann Peter Larkin. Er war ein kräftiger Mann und konnte eine Gefahr darstellen. Ein Kopfschuss für ihn. Dann die Tochter, die jünger und vermutlich sportlicher war. Zuletzt die Frau.
Dann würde sie weitere falsche Spuren hinterlassen, um diesen Mord mit dem an Ron in Verbindung zu bringen: Das Anabolikum, die dunklen, gelockten Haare (die sie aus dem Mülleimer eines Friseurs gestohlen hatte), noch ein wenig Gummiabrieb von dem Turnschuh, den sie später wegwerfen würde, und etwas von dem Sand und der Erde, die sie in einem Yachthafen in Los Angeles zusammengekratzt hatte.
Priscilla fasste zusammen: Ziel suchen, nach Wachen Ausschau halten, überprüfen, ob es Sicherheitssysteme, spezielle Kameras gab. Zielen, abdrücken, Kugeln zählen.
Als sie die Treppe hinaufstieg, nahm sie den modrigen Geruch eines nicht viel benutzten Hauses wahr, aber das Gebäude war dennoch elegant. Sowohl Peters als auch Rons Vermögen waren obszön groß. Milliarden. Der Gedanke, dass so viel Geld von nur zwei Individuen kontrolliert wurde, entfachte ihre latenten politischen Ansichten über die ungleiche Verteilung des Reichtums in der Welt neu, trotz der karitativen Bemühungen der beiden. Dennoch konnte Priscilla Endicott schwerlich länger auf ihrem hohen moralischen Ross sitzen, denn sie war nun selbst eine reiche Frau – und es waren ihre Fertigkeiten im Töten, die sie dazu gemacht hatten.
Sie griff in die Handtasche, holte die Waffe hervor, löste die Sicherung.
Dann trat sie rasch ins Wohnzimmer, die Pistole hinter dem Rücken.
»Hallo?«
Sie blieb abrupt stehen und starrte auf den leeren Raum.
War sie im falschen Zimmer?
Der Fernseher lief. Die Stereoanlage ebenfalls. Aber keine Menschenseele war hier.
O nein...
Sie wandte sich zur Flucht.
Das war der Moment, in dem die fünf Männer des Sondereinsatzkommandos aus den beiden Seitentüren stürmten, ihre Waffen auf sie richteten, schrien, zupackten. In weniger als einer Sekunde war sie entwaffnet, und dann lag sie mit Handschellen gefesselt auf dem Boden.
Lincoln Rhyme musterte das Stadthaus vom Gehsteig aus.
»Ganz nette Bude«, sagte Amelia Sachs.
»Nicht schlecht, ja.« Architektur bedeutete ihm, genau wie Dekor, nicht viel.
Sellitto sah ebenfalls an dem hohen Gebäude hinauf. »Himmel. Ich wusste ja, dass sie reich sind, aber... also wirklich.« Er stand bei dem Lieutenant des Einsatzkommandos, der die Festnahme geleitet hatte.
Einen Augenblick später ging die Tür auf, und die Frau, die engagiert worden war, um Ron Larkin sowie dessen Bruder und Schwägerin zu ermorden, wurde in Handschellen aus dem Gebäude geführt. Angesichts ihrer Skrupellosigkeit und ihres Einfallsreichtums hatten Rhyme und Sellitto angeordnet, dass man ihr zusätzlich Fußfesseln anlegte.
Die Beamten, die sie abführten, blieben stehen, und der Kriminalist musterte sie von Kopf bis Fuß.
»Hat sie ihre Rechte vorgelesen bekommen?«, fragte er einen Angehörigen des Sondereinsatzkommandos.
Der Mann nickte.
Aber die Killerin schien keinen Wert darauf zu legen, dass ihr Anwalt zugegen war, wenn sie sprach. Sie beugte sich zu Rhyme hinab und flüsterte heiser. »Wie? Wie zum Teufel haben Sie das angestellt?«
Die Locard’sche Regel, dachte der Kriminalist. Doch seine Antwort lautete: »Die Faser. Die Kokosfaser hat mich von Anfang an misstrauisch gemacht.«
Sie schüttelte den Kopf.
»Amelia fand sie auf dem Balkon«, erklärte Rhyme. »Ich erinnerte mich, das Logo von Larkin Energy auf der Fußmatte vor dem Stadthaus gesehen zu haben, als Amelia zur Durchsuchung des Tatorts dorthin fuhr. Und mir fiel ein, dass Kokosfasern zur Herstellung von Teppichen und Matten verwendet werden. Amelia überprüfte es später und stellte fest, dass die Faser tatsächlich von derselben Matte stammte.
Wie kam nun diese Faser von der Fußmatte auf den
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