Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gezinkt

Gezinkt

Titel: Gezinkt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeffery Deaver
Vom Netzwerk:
Tochter, in der Küche ihres Zuhauses vor den Toren Detroits gesessen. Liz Polemus, über den Resopaltisch gebeugt, die sparsame junge Mutter und Ehefrau, die hart arbeitete, damit das Geld reichte.
    Sie hatte ihrer Tochter vorgesungen, die ihr gegenübersaß und fasziniert die geschickten Hände der Frau beobachtete.
     
    Meine Liebe wird dich durch die Nacht begleiten, Wenn Berg und Tal in sanftem Schlummer liegen ...
     
    Liz spürte einen Krampf im rechten Arm – in dem Arm, der nie richtig verheilt war – und nahm wahr, dass sie, nach der Nachricht, die sie gerade erhalten hatte, den Telefonhörer weiter fest umklammert hielt: Ihre Tochter war auf dem Weg zu ihrem Haus.
    Die Tochter, mit der sie seit über drei Jahren nicht mehr gesprochen hatte.
     
    ... halt ich liebevolle Wacht, durch die ganze lange Nacht.
     
    Liz legte das Telefon schließlich nieder und fühlte das Blut in den Arm strömen, es juckte und brannte. Sie streckte sich auf die bestickte Couch, die seit vielen Jahren im Besitz der Familie war, und massierte den pochenden Unterarm. Sie war benommen, verwirrt, als wüsste sie nicht genau, ob der Anruf Realität gewesen war oder nur ein verschwommener Eindruck aus einem Traum.
    Nur dass die Frau sich nicht im Frieden des Schlafs verlor. Nein, Beth Anne war auf dem Weg. In einer halben Stunde würde sie an die Tür klopfen.
    Draußen fiel der Regen weiter gleichmäßig auf die Kiefern in Liz’ Garten. Sie wohnte seit fast einem Jahr in diesem Haus, einem Häuschen eher, Meilen von der nächsten Wohnsiedlung entfernt. Die meisten Leute hätten es zu klein gefunden, zu abgelegen. Aber für Liz war es eine Oase. Die schlanke Witwe in den Fünfzigern hatte viel zu tun und wenig Zeit, sich um den Haushalt zu kümmern. Hier war schnell saubergemacht, und dann konnte sie an ihre Arbeit zurückgehen. Und auch wenn sie schwerlich eine Einsiedlerin war, genoss sie die Pufferzone aus Wald, die sie von ihren Nachbarn trennte. Die winzige Größe des Heims verhinderte auch, dass etwa männliche Freunde auf die Idee verfielen, bei ihr einzuziehen. Sie bräuchte nur den Blick durch das Haus wandern zu lassen, in dem es nur ein Schlafzimmer gab, und erklären, zwei Leute würden in dieser Enge wahnsinnig werden. Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie beschlossen, nie mehr zu heiraten oder mit einem anderen Mann zusammenzuleben.
    Ihre Gedanken gingen nun zu Jim. Ihre Tochter war von zu Hause ausgezogen und hatte jeden Kontakt mit der Familie abgebrochen, bevor er gestorben war. Es hatte Liz immer geschmerzt, dass das Kind nicht einmal nach seinem Tod angerufen, geschweige denn an seinem Begräbnis teilgenommen hatte. Zorn über dieses Beispiel für die Gefühllosigkeit ihrer Tochter brandete in Liz auf, aber sie schob ihn beiseite. Egal was die junge Frau heute Abend hier bezweckte, es würde nicht genügend Zeit sein, auch nur einen Bruchteil der schmerzlichen Erinnerungen auszugraben, die wie Trümmer eines Flugzeugabsturzes zwischen Mutter und Tochter lagen.
    Ein Blick auf die Uhr. Fast zehn Minuten waren seit dem Anruf bereits verstrichen, wie Liz erschrocken feststellte.
    Mit einem Gefühl der Beklemmung ging sie in ihr Nähzimmer. Dieser größte Raum des Hauses war mit Näharbeiten von ihr selbst und ihrer Mutter und mit einem Dutzend Gestellen für Zwirnspulen geschmückt – manche gingen bis auf die Fünfziger- und Sechzigerjahre zurück. Jeder Farbton in Gottes Palette war in diesen Fäden vertreten. Kartons voller Muster aus Vogue und Butterick ebenfalls. Das Herzstück des Zimmers war eine alte, elektrische Singer. Sie besaß nicht die tollen Stichkameras neuer Maschinen, keine Lichter, komplizierte Anzeigen oder Knöpfe. Die Maschine war ein vierzig Jahre altes, schwarz emailliertes Arbeitspferd, identisch mit der, die ihre Mutter benutzt hatte.
    Liz hatte genäht, seit sie zwölf war, und in schwierigen Zeiten ernährte sie das Handwerk. Sie liebte alles daran: Den Stoff zu kaufen – das dumpfe Klatschen, wenn die Verkäuferin die flachen Ballen umdrehte und das richtige Maß abspulte (Liz konnte den Frauen immer mit fast perfekter Genauigkeit sagen, wann eine bestimmte Menge abgewickelt war). Das knisternde, durchsichtige Papier auf den Stoff zu heften. Das Schneiden mit der schweren Zickzackschere, die einen gezackten Rand im Gewebe hinterließ. Die Maschine bereitzumachen, die Spule aufzuziehen, das Garn in die Nadel zu fädeln …
    Nähen hatte etwas so vollkommen Beruhigendes an sich: Diese

Weitere Kostenlose Bücher