Ghost Street
Den jungen Uniformierten an der Absperrung aus gelbem Plastikband rannte sie einfach über den Haufen.
»Detective McAvoy«, rief die Reporterin, »würden Sie uns bitte eine Stellungnahme zu dem Mord geben? Soweit uns bekannt ist, wurde eine gewisse Angela Rydell in einem Kartoffelsack aus dem Fluss gezogen. Glauben Sie, der Ku-Klux-Klan steckt hinter diesem abscheulichen Verbrechen?«
»Wie kommen Sie denn darauf ?«
Der Kameramann drehte bereits und Melinda Stone sprach genüsslich in ihr Mikrofon. »Angela Rydell ist die Tochter von Helen Rydell, die vor ungefähr vierzig Jahren auf die gleiche Weise von Jeremy Hamilton ermordet wurde. WSAV berichtete ausführlich über den Prozess, der dem achtzigjährigen Mörder eine lebenslängliche Haftstrafeeinbrachte. Offensichtlich gibt es einen Zusammenhang zwischen den zwei Morden. Was können Sie uns darüber sagen, Detective?«
»Keinen Kommentar«, reagierte Jenn so, wie es von ihr verlangt wurde, freundlich, aber bestimmt. Gegen ihren Willen bewunderte sie die Reporterin oder zumindest ihre Mitarbeiter, die genauso schnell wie sie herausgefunden hatten, dass der Mord die Kopie einer früheren Straftat war. »Sobald wir Näheres wissen, werden wir Sie und die Öffentlichkeit informieren.«
Melinda Stone ließ nicht locker. »Jeremy Hamilton war einer der Anführer des Ku-Klux-Klan. Glauben Sie, der Geheimbund ist wieder aktiv und hat etwas mit dem Mord zu tun? Könnte Jeremy Hamilton aus dem Gefängnis heraus die Fäden gezogen haben?«
»Wie gesagt, kein Kommentar.«
»Aber Ihre Ermittlungen gehen doch sicher in diese Richtung, Detective?«
»Unsere Ermittlungen gehen in alle Richtungen«, konnte Jenn sich nicht länger zurückhalten. »Es ist noch viel zu früh, um über eine gezielte Vorgehensweise zu sprechen, und wenn wir so etwas vorhätten, würden wir es bestimmt nicht einem TV-Sender verraten. Und jetzt lassen Sie uns bitte in Ruhe, Miss, wir haben zu arbeiten …«
Sie entfernte sich ein paar Schritte und hörte die Reporterin sagen: »Und warum steht Ihr Partner dann gelangweilt in der Gegend herum und gähnt?«
Jetzt reagierte Jenn so, wie die Reporterin es erwartete. Sie wirbelte herum, ging wutschnaubend auf sie zu und bellte ins Mikrofon: »Jetzt will ich Ihnen mal was sagen, Miss, wir arbeiten rund um die Uhr, auch wenn es so aussieht, als stünden wir einfach nur in der Sonne, da denken und kombinieren wir nämlich. Das Einzige, was uns vonder Arbeit abhält, ist eine Reporterin, die ein paar kernige Sätze für die Nachrichten haben will. Die können Sie kriegen, Miss: Wir werden das Schwein fassen! Wir werden diesen verdammten Killer hinter Gitter bringen, und dann gnade ihm Gott!«
Nach diesem Ausbruch ließ Jenn die Reporterin stehen und ging zu Harmon, der etwas abseits vor dem Gebüsch stand und tatsächlich gegähnt hatte. »Zicke!«, schimpfte sie.
»Na, der hast du’s ja gegeben«, amüsierte sich ihr Partner. »Fragt sich nur, was der Lieutenant sagt, wenn er deinen Wutanfall im Fernsehen sieht.«
»Scheiß drauf«, erwiderte sie.
»Das gibt einen Rüffel.«
»Pass du lieber auf, dass du nicht im Stehen einschläfst«, konterte sie.
7
Alessa parkte ihren Wagen vor dem Gerichtsgebäude in der Montgomery Street und stieg die Stufen zum Eingang hinauf, den Kakaobecher von Starbucks und eine Tüte mit zwei warmen Muffins in der rechten, ihre lederne Aktentasche in der linken Hand.
Mit seinem Säulenportal und dem schlanken Uhrturm auf dem Giebeldach erinnerte das Gerichtsgebäude an die Gründerzeit im 18. Jahrhundert, doch innen hatte man nach einem Feuer alles renoviert, und selbst die auf antik getrimmten Möbel in den Büros erstrahlten im neuen Glanz.
Alessa arbeitete in einem ehemaligen Vorzimmer, das bis auf den Schreibtisch aus dunklem Holz eher bescheiden eingerichtet und eigentlich für die Sekretärinnen gedacht gewesen war. Die saßen inzwischen in besseren Glaskästen im Erdgeschoss. Auf Alessas Schreibtisch stand ein Foto ihrer Eltern. Mikes Foto hatte sie in weiser Voraussicht gar nicht erst aufgestellt.
Sie stellte den Kakao auf den Tisch, schob die Tüte mit den Muffins in eine leere Schublade und legte ihre Tasche ab. Ihre Kollegin war bei einer Verhandlung und Alessa war allein. Noch bevor sie an die Tür des Bezirksstaatsanwalts klopfen und ihm einen guten Morgen wünschen konnte, kam er heraus und begrüßte sie betroffen. »Ich habe gerade von dem Mord gehört, Alessa. Sie haben die Leiche aus dem
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