Ghost Street
Fluss gezogen?«
District Attorney Jack Crosby war um die fünfzig, gab sich aber wesentlich jünger und tat alles, um seinen Alterungsprozessaufzuhalten. Regelmäßiger Sport und gesunde Ernährung waren die eine Seite, Haarfärbemittel, teure Anti-Aging-Cremes und ein unter größter Geheimhaltung durchgeführtes Lifting die andere. Seine Zähne waren zu regelmäßig und weiß, um echt zu sein. Er trug maßgeschneiderte Anzüge und seidene Krawatten. Der geborene Politiker, der früher davon geträumt hatte, als Senator nach Washington zu gehen und vielleicht sogar Präsident zu werden.
Genau der Typ, den Alessa eigentlich verabscheute, aber sie ließ sich nichts anmerken, denn erstens war er ganz nett und kollegial und zweitens war er ihr Vorgesetzter. »Das stimmt, Jack.« Alle stellvertretenden Staatsanwälte durften ihn mit dem Vornamen ansprechen, ein Vorrecht, das er Verteidigern nur selten gewährte. Sie berichtete, was am frühen Morgen geschehen war. »Stellen Sie sich vor, die Tote ist die Tochter der Frau, die Jeremy Hamilton vor vierzig Jahren auf die gleiche Weise ermordet hat. Ist das nicht eigenartig?«
Der Staatsanwalt blickte sie seltsam an. »Eigentlich nicht«, erwiderte er nach einer ganzen Weile. »Während des Prozesses gegen Hamilton wurde ausführlich über die Morde berichtet. War doch klar, dass irgendein Psychopath die Methode kopieren würde.«
»Ein Nachahmungstäter? Das glaube ich nicht, Jack. Wenn es sich bei der Toten um irgendeine Frau handeln würde, vielleicht. Aber warum sollte sich ein x-beliebiger Mörder die Mühe machen, nach der Tochter von Helen Rydell zu suchen, sie bewusstlos zu schlagen und in einem Kartoffelsack von der Talmadge Bridge zu werfen?«
»Um ins Fernsehen und in die Presse zu kommen, was sonst? Auch Verbrecher sind mediengeil, das wissen Sie doch. Ich erinnere mich an einen Serienkiller, der jedemseiner Opfer eine aus Kalifornien importierte Rose auf die Brust legte, nur weil sein Vorbild, ein Killer aus Sacramento, auf die gleiche Weise vorging. Vielleicht haben wir es mit einem ähnlichen Fall zu tun.«
Alessa trank einen Schluck von ihrem Kakao. »Mag sein, Jack, aber die Vermutung, dass es eine Verbindung zwischen den beiden Morden geben und der Ku-Klux-Klan wieder aktiv sein könnte, ist doch sehr naheliegend. Ich bin sicher, ein Prozess gegen den neuen Klan, oder wie immer sie ihn nennen werden, bringt Sie auf die Titelseite der New York Times .« Sie öffnete ihre Aktentasche und holte den Hefter mit ihrer Seminararbeit heraus. »Ich habe mich in der Vergangenheit ausführlich mit den Morden beschäftigt. Meine Seminararbeit über Jeremy Hamilton.«
Crosby nahm ihr den Hefter ab und blätterte darin. »Das wusste ich ja gar nicht. Alle Achtung, Alessa.« Er blickte auf das Datum. »Vor drei Jahren, noch vor dem Prozess gegen Hamilton. Schade … wenn Sie vor dem Prozess schon bei uns gewesen wären, hätten Sie mit der Anklage zusammenarbeiten können.« Er reichte ihr den Hefter zurück. »Was haben Sie damit vor?«
»Das bringe ich McAvoy und Harmon vorbei, die wollten mal einen Blick hineinwerfen. Könnte ja sein, dass wir es mit einem Serienkiller zu tun haben, der es auch auf die Nachfahren der anderen Opfer abgesehen hat. Ich habe die Morde … nun ja … ziemlich ausführlich geschildert, Jack.«
»Meinetwegen.« Jack Crosby schien mit seinen Gedanken schon wieder woanders zu sein. »Aber vergessen Sie darüber nicht Ihre eigentlichen Aufgaben. Was ist mit der Frau, die ihren Mann wegen Misshandlung anzeigen wollte? Ist da noch was zu machen?«
»Mrs Murrell?« Sie warf den Hefter auf ihren Schreibtisch. »Ich fahre nachher bei ihr im Krankenhaus vorbei,aber es sieht schlecht aus. Seit ihr Mann sie jeden Tag im Krankenhaus besucht und Süßholz raspelt, will sie nicht mehr gegen ihn aussagen.«
»Das Übliche, hm?« Er schüttelte verächtlich den Kopf. »Ich werde nie verstehen, dass eine Frau, die von ihrem Mann verprügelt und beinahe totgeschlagen wurde, auf eine Anzeige verzichtet. Wenn es nach mir ginge, würden wir das Gesetz ändern und solche Männer auch ohne die Zeugenaussage ihrer Frauen ins Gefängnis schicken. Versuchen Sie es noch mal, Alessa. Und überlassen Sie den Mordfall den Detectives, die wurden dafür ausgebildet. Ich glaube sowieso nicht, dass es den Klan noch gibt. Mal abgesehen von den verrückten Neonazis, die nur so tun, als wären sie die legitimen Nachfolger dieser Kuttenträger. Furchtbare Leute, nicht
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