Ghost Street
Neues.«
Jenn schob den Gefangenen auf einen Sessel, zog ihr Handy aus der Jackentasche und bat die Zentrale des Sheriffs, die Deputys in dem Streifenwagen zu schicken. »Ja, Miss«, bestätigte sie der Telefonistin. »Wir haben Moses Middleton festgenommen.«
Und zu Moses Middleton sagte sie: »Seien Sie froh, dass es so gekommen ist, Moses! Im Knast brauchen Sie wenigstens keine Angst zu haben. Da kommt selbst der Klan nicht hin.«
»Der Ku-Klux-Klan?«, erschrak er. »Ich dachte, den gibt’s gar nicht mehr.«
»Wer weiß?«, erwiderte sie nur.
21
Um Mitternacht schreckte Homer Middleton aus dem Schlaf. Seit vier Stunden fuhr der Streifenwagen an der Farm vorbei, jedes Mal kurz vor der vollen Stunde. Man hätte die Uhr danach stellen können. Die Cops bogen von der Hauptstraße ab, fuhren ein Stück über den Kiesweg, bis sie die Farm sehen konnten, und kehrten zur Hauptstraße zurück. Ein Detective der Savannah Police hatte bei ihm angerufen und ihm gesagt, sie würden jede Stunde nach ihm sehen. Er wüsste sicher, warum sie ihn überwachten.
Natürlich wusste er es. Seitdem er den Bericht über den Mord an Angela Rydell gesehen und den alten Zeitungsartikel gelesen hatte, ahnte er, dass auch er in Gefahr schwebte. Der verrückte Killer würde sich nicht mit einem Mord zufriedengeben. Wenn er so fanatisch war wie Jeremy Hamilton, würde er alle fünf Morde, die Hamilton begangen hatte, kopieren wollen. Und er war ein Nachfahre des toten Abraham Middleton und ein Farmer wie er.
Das Geräusch, das die Räder des Streifenwagens auf dem Kies verursachten, beruhigte ihn nicht. Wenn der Killer ihn erwischen wollte, würden ihn die Cops nicht davon abhalten können. Er brauchte nur zu warten, bis die Polizisten verschwunden waren. Allein der Gedanke, der Killer könnte jeden Augenblick in sein Haus stürmen und ihn nach draußen zerren, hielt Homer davon ab, wieder einzuschlafen. Er setzte sich auf den Bettrand und blickte auf Mary-Beth, seine schlafende Frau.
Sie öffnete die Augen und sah ihn erschrocken an. Auch sie hatte von dem Mord an Angela Rydell gehört undahnte, in welcher Gefahr sie schwebten. »Nein, wir lassen dich nicht allein!«, hatte sie gesagt, als ihr Mann sie und die Kinder zu ihren Eltern nach Alabama schicken wollte. »Was ist denn, Homer?«, flüsterte sie. »Sind sie … sind sie etwa …« Ihre Augen weiteten sich vor Panik. »Sie sind da draußen, nicht wahr? Die Männer …«
Er legte ihr rasch eine Hand auf die Schulter. »Nein, Schatz, es ist alles in Ordnung. Das waren nur die Cops! Sie bewachen uns, Mary-Beth! Die Polizei ist auf unserer Seite. Es ist nicht mehr wie damals. Niemand wird uns etwas tun.«
»Die Kinder! Sind die Kinder …«
»Die Kinder schlafen, Mary-Beth. Es ist alles okay. Schlaf weiter, du hast morgen einen harten Tag vor dir. Keine Angst, Schatz, es ist alles okay.«
Homer wartete, bis sie die Augen geschlossen hatte und ruhig atmete, dann stieg er leise aus dem Bett und schlich ins Wohnzimmer. Im Dunkeln öffnete er den Schrank neben der Tür und zog eine verschlossene Schatulle zwischen einigen Lumpen hervor. Mit einem kleinen Schlüssel an seinem Bund öffnete er das Vorhängeschloss.
Die Smith & Wesson hatte er vor einigen Jahren gekauft. Nicht ganz legal, aber als Schwarzer oder Afroamerikaner, wie das seit einigen Jahren hieß, musste man auch heute noch auf der Hut sein. Wie man sah, gab es noch genug Verrückte, die nicht kapieren wollten, dass die Unterdrückung der Schwarzen endgültig vorüber war.
Bedächtig schob er frische Patronen in die Trommel des Revolvers. Mit der geladenen Waffe schlich er zum Fenster. Es war nur ein Bauchgefühl, das ihn so vorsichtig sein ließ. Ein Bauchgefühl und die Angst um seine Frau und seine Kinder. Wenn er daran dachte, wie ihm als Vierjähriger zumute gewesen war, als sie seinen Onkel aufgehängt hatten,wurde ihm noch heute übel. Er würde diesen schrecklichen Augenblick niemals vergessen.
Er würde die ganze Nacht aufbleiben. Mit dem Revolver in der Hand würde er auf einem Stuhl vor dem Fenster sitzen, bis der Morgen graute. Und dann würde er darauf bestehen, dass seine Frau und seine Kinder zu Mary-Beths Eltern zogen. Er wollte das Risiko nicht eingehen, dass seiner Familie etwas passierte. Auch seinen Vater würde er wegschicken, und wenn er dafür seine ganzen Ersparnisse opfern musste. Es war immerhin möglich, dass es der Killer auch auf ihn abgesehen hatte.
Er zog einen Stuhl heran und setzte
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