Ghost Street
bist und dich der Frau annimmst, bevor sie die Arme ins Krankenhaus bringen. Viel Geld hat sie leider nicht, aber du kommst sicher ins Fernsehen. Die Medienleute mögen solche Fälle.«
»Mit anderen Worten: Du willst, dass ich sie umsonst verteidige, weil du einen Narren an ihr gefressen hast. Und du bist noch immer nicht bereit, mit mir auszugehen und danach …«
»Beeil dich!«, unterbrach sie ihn ungeduldig. »Die Polizei ist schon hier.«
Sie legte auf und ließ die Polizisten, den Arzt und die Sanitäter herein.
20
Auch an diesem Abend parkten Jenn und Harmon wieder vor einem Mietshaus. Nur beschatteten sie nicht mehr Reggie Sharer, sondern einen jungen Drogendealer, der sie auf die Spur eines berüchtigten Drogenringes bringen sollte, der seine Fühler nach Savannah und den Südstaaten ausgestreckt hatte. »Wir können nicht ewig auf Sharer aufpassen«, hatte der Lieutenant gesagt. »Sie haben ihn entlassen, damit hat sich die Sache. Der Drogendealer ist wichtiger.«
Doch es war bereits nach zehn Uhr, und der Dealer, den alle nur »Candy Man« nannten, hatte das Haus noch immer nicht verlassen. Anscheinend hatte er mitbekommen, dass ihn die Polizei beschattete, und es vorgezogen, sich ein paar Tage ruhig zu verhalten. Hinter einem Fenster seiner Wohnung im zweiten Stock flimmerte ein Fernseher und sie sahen ihn ein paarmal durchs Zimmer gehen. Der laufende Fernseher war kein Trick, er war tatsächlich zu Hause geblieben.
Jenn legte die Hände aufs Lenkrad und wunderte sich über Harmon, der schon den dritten Donut verschlang. »Kocht deine Frau nicht mehr?«, fragte sie. »Oder isst du die furchtbaren Dinger nur, um mich zu ärgern? In Chicago ist ein Cop an Donuts gestorben.«
Harmon hörte auf zu kauen und blickte sie erschrocken an. »Echt?«
»Nicht direkt«, verbesserte sie sich, »er bekam eine Kugel in die Stirn, als er in den Donut biss. Ohne den Donut hätte er vielleicht besser aufgepasst.«
»Wir sind hier nicht in Chicago.« Harmon trank einen Schluck Kaffee. »Obwohl ich mir manchmal nicht mehr sicher bin. Diese Lydia Murrell vorhin, das war schon ziemlich heavy. Rammt ihrem Mann ein Messer in den Rücken … dazu gehört schon einiges.«
»Nicht, wenn man jahrelang misshandelt und halb totgeschlagen wird.« Jenn hatte sich einen Kaffee von Starbucks mitgenommen und trank ebenfalls. »Du hast die Frau doch gesehen. So was gab’s auch in Chicago nicht jeden Tag. Kein Wunder, dass sie irgendwann durchdreht und ihn umlegt.«
»Und wozu braucht sie dann einen sündhaft teuren Anwalt wie Joe Mercer? Ich möchte mal wissen, wie sie den bezahlen will. Was der verlangt, verdiene ich in einem Jahr nicht.«
Jenn stellte ihren Becher in die Halterung. »Sie braucht ihn, um heil aus der Sache rauszukommen. Ohne einen Anwalt wie Mercer würde man sie vielleicht für ein paar Jahre wegen versuchten Totschlags ins Gefängnis schicken. Du weißt doch, wie schwer sich die Richter in solchen Fällen tun. Wenn der Staatsanwalt auf Selbstjustiz plädiert, braucht die Frau einen Topanwalt, um straffrei auszugehen.«
»Und den hat ihr ausgerechnet Alessa besorgt? Eine Staatsanwältin?«
Jenn grinste. »Wir Frauen halten zusammen. Besonders, wenn es gegen Drecksäcke wie Murrell geht.«
Sie nahm noch einen Schluck von ihrem Kaffee und blickte zu dem erleuchteten Fenster empor. »Ich weiß gar nicht, warum wir hier noch stehen. Candy Man geht heute sowieso nicht mehr auf die Piste. Jemand muss ihm geflüstert haben, dass wir hier sind.«
»Ein Cop?«
»Was weiß ich? Auf jeden Fall stehen wir hier umsonst. Wir sollten uns um die beiden Middletons kümmern.«
»Wen?«
»Moses und Homer Middleton, die Angehörigen von Abraham Middleton, dem schwarzen Freund von Helen Rydell. Ich werde das Gefühl nicht los, dass es unser Mörder auf einen der beiden abgesehen hat. Stell dir vor, der knüpft einen von beiden auf, während wir hier sinnlos in der Gegend rumstehen?«
»Aber wir haben unsere Befehle. Wir können hier nicht weg. Wir riskieren eine Abmahnung, wenn wir verschwinden, von dem Ärger, den uns das FBI machen wird, ganz zu schweigen. Außerdem können wir nicht bei zwei Verdächtigen gleichzeitig sein.«
»Ich tippe auf den alten Moses.«
»Den Hausmeister in dem Kaufhaus? Wieso gerade den? Homer lebt auf der Farm, so wie damals Abraham. Wenn überhaupt, trifft es ihn.«
»Moses ist seinem Bruder wie aus dem Gesicht geschnitten. Außerdem ist er der älteste lebende Verwandte.«
»Die
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