Ghost Street
draußen, dann das panische Geschrei von Kindern. Mary-Beth kam mit verzerrtem Gesicht aus dem Haus gerannt, hinter sich die weinenden und verstörten Kinder. »Homer!«, schrie sie. »Homer! Lasst ihn sofort los, ihr Schweinehunde! Lasst ihn los oder ich bringe euch alle um!«
Wieder ein knapper Befehl des Anführers und einige seiner Männer drängten die Frau und die Kinder ins Haus zurück. Man hörte das dumpfe Geräusch, als Mary-Beth mit einem heftigen Fausthieb niedergeschlagen wurde und vor ihren Kindern zu Boden stürzte. Ihre Schreie erstarben,nur das Heulen der drei Kinder drang weiter nach draußen. Ein Klansmann hatte den Schlüssel abgezogen und die Haustür von außen verschlossen.
»Nein!«, schrie Homer Middleton so laut und verzweifelt, dass einige der Kapuzenmänner zusammenzuckten. Es gelang ihm, sich loszureißen, aber er rannte dem Anführer genau in die Arme und wurde von ihm unsanft zurückgestoßen. »Auf den Wagen mit ihm! Wir haben nicht mehr viel Zeit.«
Einer der Klansmänner, der bisher noch gar nicht in Erscheinung getreten war und etwas abseits stand, schüttelte langsam den Kopf. »Er hat recht«, sagte er leise, »der Nigger hat recht.«
»Was faselst du da?«, fuhr der Anführer den Mann an. »Wer hat recht?«
Der Klansmann ließ sich nicht einschüchtern. »Der Nigger hat recht! Sie werden uns zum Tode verurteilen. Heutzutage wandert man auch für den Mord an einem Nigger in die Todeszelle. Es gibt sogar schwarze Geschworene und schwarze Richter.«
»Dazu wird es nicht kommen«, erwiderte der Anführer. »Niemand weiß, wer wir sind. Und wenn wir zusammenhalten und ihr meine Befehle befolgt, werden auch die Medien und die Bevölkerung auf unserer Seite sein.«
»Warum verprügeln wir ihn nicht? Es würde doch reichen, wenn wir ihn verprügeln und das brennende Kreuz zurücklassen. Wenn du ein Zeichen willst, gibt es nichts Besseres. Wir müssen ihn doch nicht aufhängen …«
Der Anführer wurde ungeduldig. »Ich hab’s dir schon ein paarmal gesagt: Die Leute kapieren nur, wenn man deutliche Zeichen setzt. Sie müssen wissen, dass man es ernst meint. Einen Ku-Klux-Klan, der Angst davor hat, einen Nigger aufzuknüpfen, und ihn mit einer Tracht Prügeldavonkommen lässt, nimmt niemand ernst.« Er wandte sich an die beiden Männer, die den Gefangenen hielten. »Vorwärts! Schafft ihn auf die Ladefläche! Und ihr beiden«, er deutete auf den Mann, der sich ihm widersetzt hatte, und einen anderen, »ihr rammt das Kreuz in den Boden und zündet es an! Denkt daran, Männer, dies ist Gottes Wille. Wir tun nur das, was er verlangt. Wir sind seine Werkzeuge.«
Homer Middleton hatte die Stimme des Mannes, der sich dem Anführer widersetzt hatte, erkannt. Der Apotheker. Seinen Namen hatte er vergessen, aber seine kieksende, etwas heisere Stimme war in seinem Gedächtnis hängen geblieben, ebenso wie seine abweisende Miene, wenn er Medikamente bei ihm gekauft hatte. Ein biederer Durchschnittsbürger in der Kutte des Ku-Klux-Klan, so wie in den Sechzigern.
»Apotheker!«, rief er, als ihn die beiden Klansmänner auf den Wagen hoben und der Apotheker das Holzkreuz von der Ladefläche zog. »Willst du tatsächlich bei einem Mord mitmachen? Du bist genauso schuldig wie die Männer, die mir die Schlinge um den Hals legen, das weißt du doch. Sie werden dich zum Tode verurteilen, Apotheker. Sie werden dich ein paar Jahre in der Todeszelle schmoren lassen, und dann kommt der Henker zu dir mit der Todesspritze, Apotheker!«
»Halt den Mund!«, rief der Anführer wütend. Er trat hinter den Wagen, zog das Holzkreuz herunter und drückte es dem Apotheker in die Hand. »Wie du siehst, ist es in deinem eigenen Interesse, wenn wir ihn töten. Er hat dich erkannt. Also tu, was ich dir gesagt habe, und ramm endlich das Kreuz in den Boden! Oder willst du auch sterben? Du kennst die Gesetze des Klans. Du weißt, was ich tun muss, wenn du dich offen gegen uns stellst.«
Homer Middleton musste mit ansehen, wie der Klansmann mit dem Seil die Schlinge über den Ast warf, an dem auch Abraham Middleton gestorben war. Der Mann fing die Schlinge geschickt auf und legte sie um den Hals seines Opfers. Durch die Löcher in der Kapuze des Mannes sah Homer Middleton das höhnische Grinsen. Der Mann hatte keine Hemmungen, einen Schwarzen aufzuknüpfen. Er zog die Schlinge so fest, dass Homer kaum noch Luft bekam. Mit dem anderen Ende des Seils sprang er vom Wagen.
In diesem Augenblick fiel alle Hoffnung von
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