Ghost Street
Auge des Mannes blitzte zufrieden auf, als er Alessa vor der alten Villa entdeckte. »Alessa!«, hörte sie ihn sagen. Ihr Name klang hässlich aus seinem Mund. »Dich habe ich gesucht!«
Er ließ die Peitsche so dicht vor ihren Füßen knallen, dass sie aus ihrer Erstarrung schreckte und am Zaun entlang vor dem Sklavenjäger zurückwich. Die Schwarzen blickten erstaunt zu ihr herüber, konnten wohl nicht fassen, dass es ihr Peiniger auf eine weiße Frau abgesehen hatte. Mit derben Flüchen drang der Mann auf Alessa ein, ließ bei jedem Schritt seine Peitsche knallen, ohne dass die feuchte Lederschnur ihren Körper traf.
Alessa erreichte das offene Tor und floh in den verwilderten Garten der Villa. Ihren Verfolger nicht aus den Augen lassend, stolperte sie die vier Stufen zum Eingang empor. Sie rüttelte an der schweren Holztür und stellte erleichtert fest, dass sie nicht verschlossen war. Sie lief in den Flur und knallte die Tür hinter sich zu, lehnte sich erschöpft und zitternd dagegen.
Durch das schmale Fenster in der Tür sah sie den Sklavenjäger näher kommen. Sein pockennarbiges Gesicht mit dem blitzenden Auge und den gelben Zähnen machte ihr Angst.
Als sein Gesicht dicht vor ihr war und er an der Tür zu rütteln begann, geriet sie in Panik. Sie rannte die steileTreppe in den ersten Stock empor, öffnete die erstbeste Tür und lief in eines der vielen Zimmer der Villa. Wie alle Zimmer des Hauses war es leer. Im trüben Licht der Laternen, das durch die schmutzigen Fenster hereinfiel, waren leere Bierdosen auf dem Boden zu sehen. Anscheinend hatten sich Landstreicher in der leeren Villa aufgehalten. Eine Maus huschte über den Boden und verschwand durch einen Spalt. Es würde einige Anstrengung kosten, die alte Villa wieder an den Mann zu bringen.
Alessa warf die Tür ins Schloss und torkelte einige Schritte in das Zimmer hinein. Auf dem staubigen Boden ging sie in die Knie. Außer Atem blickte sie zur Tür, rechnete jeden Moment damit, dass der Sklavenjäger sie öffnete und mit der Peitsche auf sie losging.
Während sie noch darüber nachdachte, hörte sie, wie die Haustür aufgestoßen wurde und das hässliche Lachen ihres Verfolgers durch den Flur drang. »Du hast wohl gedacht, du könntest mir entkommen?«, höhnte der Sklavenjäger. »Du wirst genauso bestraft wie diese verfluchten Nigger! Ich werde dich an einen Pfahl binden und dich meine achtschwänzige Peitsche spüren lassen!«
Die Stimme ihres Verfolgers war stetig näher gekommen, war jetzt dicht vor ihrer Tür. Nur noch ein paar Sekunden, dann würde er sie aufreißen und höhnisch lachend auf Alessa zukommen.
Tatsächlich schwang die Tür nach innen und die stämmige Gestalt des Sklavenjägers füllte den Rahmen aus. Sein gesundes Auge blitzte im Halbdunkel. Ein verächtliches Lachen kam über seine Lippen, doch als er das Zimmer betreten und die Peitsche erheben wollte, tauchte eine weitere Gestalt hinter ihm auf und zerrte ihn in den Flur zurück. Das Gesicht des anderen Mannes war nur für einen Sekundenbruchteil zu sehen, doch dieser Moment reichte,um Alessa neuen Mut zu geben. »David!«, rief sie erleichtert.
David, wenn es David war, umklammerte den Sklavenjäger von hinten und stieß ihn die Treppe ins Erdgeschoss hinab. Die Treppe lag außerhalb ihres Sichtfeldes, und in dem Halbdunkel war sowieso kaum etwas zu erkennen, doch sie hörte das laute Poltern, als er nach unten fiel, und sein Stöhnen, als er im Erdgeschoss ankam und benommen liegen blieb.
Alessa sank zurück und schloss die Augen, lächelte dankbar, als sie Davids sanfte Hand auf ihrer Wange spürte. »Es ist vorbei, Alessa«, sagte er, »der lässt sich hier bestimmt nicht mehr blicken. Du kannst die Augen aufmachen. Es ist alles okay, Alessa!«
Sie öffnete die Augen und fand sich hinter dem Steuer ihres BMWs wieder. Verschlafen richtete sie sich auf. Sie parkte neben der alten Villa, in der sie eben noch gewesen war. Oder hatte sie das alles nur geträumt? Der Sitz neben ihr war leer, und auch an der Kreuzung von President Street und Drayton Street war David nicht mehr zu sehen. Kein David, kein Sklavenjäger, keine Schwarzen, nur die wabernden Nebelfetzen, die vom Wind in die dichten Baumkronen getrieben wurden. Die Laternen flackerten und verbreiteten zitternden Lichtschein.
Ein Albtraum, sagte sie zu sich selbst, kein Wunder nach der ganzen Aufregung heute Nacht. Höchste Zeit, dass ich nach Hause komme und mal wieder richtig ausschlafe.
Sie startete
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