Ghost Street
den Motor und blickte in den Innenspiegel, sah das Blut unter ihrer Nase und erschrak. Misstrauisch sah sie zu der alten Villa empor. Jetzt brannte Licht in einem Zimmer.
Sie dachte nicht daran, noch einmal auszusteigen, trat das Gaspedal durch und brauste nach Norden davon.
25
Eigentlich hätte Jenn nach Hause fahren sollen, nachdem sie mit Harmon von der Farm zurückgekehrt und den Dienstwagen gegen ihren Toyota getauscht hatte. Stattdessen fuhr sie noch einmal an dem Mietshaus vorbei, in dem der Drogenhändler wohnte.
Aus reiner Neugier und weil seine Wohnung sowieso auf ihrem Weg lag, würde sie später behaupten, aber der eigentliche Grund war, weil es ihr mächtig stank, in dieser Nacht gleich zweimal versagt zu haben. Sie hatten vergeblich darauf gewartet, dass Candy Man sie zu seinem Chef führte, und sie waren zum falschen Middleton gefahren und trugen Mitschuld am Tod des Farmers.
Obwohl es schon nach drei Uhr früh war, flackerte hinter einem Fenster in der Wohnung im zweiten Stock noch der Fernseher. Wahrscheinlich war Candy Man während einer Sendung eingeschlafen und würde erst am späten Morgen wieder in Aktion treten. Kein Grund, sich länger als nötig vor dem Haus herumzutreiben.
Störrisch, wie sie war, hängte Jenn aber noch eine Viertelstunde dran, fünf Songs im Autoradio, länger auf keinen Fall. Beim fünften Song, einem dieser belanglosen Charts-Hits, die sie sowieso nicht leiden konnte, erlosch das Flackern des Fernsehers plötzlich. Candy Man war aufgewacht, ging ins Bad oder ins Bett. Auf keinen Fall würde er um diese Zeit noch einmal losziehen und sie zu seinem Komplizen oder Auftraggeber führen.
Doch ihr Pech für diese Nacht war aufgebraucht. Wenige Minuten später sah sie den Mann aus der Tiefgaragefahren. Er saß in einem unscheinbaren Chevy, wahrscheinlich, um nicht aufzufallen, und bog auf die Hauptstraße ab. Das Modell und die Nummer des Wagens hatten sie bereits früher herausgefunden.
Einen Verdächtigen im Wagen zu verfolgen, fiel Jenn in Savannah relativ leicht. In Chicago, wo auch nachts dichter Verkehr herrschte und alle paar Schritte eine Ampel wartete, war das wesentlich schwieriger. In Savannah war nachts tote Hose, zumindest außerhalb der Altstadt und abseits vom Fluss.
Dennoch durfte sie nicht übermütig werden. Gerade wenn wenig Verkehr war, musste man aufpassen, dem Verdächtigen nicht in den Rückspiegel zu fahren. Wer sich ständig durch die Scheinwerfer eines nachfahrenden Wagens geblendet sah, wurde irgendwann misstrauisch. Also hielt sie Abstand und gab nur Gas, wenn der Bursche um eine Ecke verschwand.
Als er auf die Montgomery Street bog und zügig nach Norden fuhr, ahnte sie, dass er zum Hafen unterwegs war. Sie ließ sich noch etwas weiter zurückfallen, behielt aber seine Rücklichter im Auge und überprüfte während des Fahrens ihre Pistole. Sie ging gern auf Nummer sicher, wenn sie sich mit solchen Burschen einließ.
Wie erwartet, nahm der Dealer den Highway 17 über die Talmadge Bridge. Hier herrschte etwas mehr Verkehr, und Jenn war gezwungen, den Abstand zu verkürzen. Mit gemischten Gefühlen blickte sie nach rechts über das Brückengeländer auf den Park hinab, in dem Angela Rydell ermordet worden war. Zwei Opfer hatte der Killer schon auf dem Gewissen, und zumindest den zweiten Mord hätten sie verhindern können. Es wurde Zeit, dass der FBI-Mann aus den Puschen kam und endlich was unternahm. Einen dritten Mord würden ihnen die Medien niemals verzeihen.
Sie verdrängte die Gedanken und konzentrierte sich auf den Drogendealer. Die Typen waren ihr nicht fremd. Chicago gehörte zwar nicht zu den Drehscheiben des internationalen Drogenhandels, doch Dealer und Abnehmer gab es dort genug, und sie war alle paar Wochen an einem Großeinsatz beteiligt gewesen. Mehreren Dealern hatte sie selbst die Handschellen angelegt.
Candy Man nahm die Ausfahrt zum Hafen und fuhr zu den Lagerhäusern hinunter. Sie blieb oberhalb des Hafens stehen, löschte die Scheinwerfer und beobachtete, wie er am Haupttor vorbeifuhr und weiter unten vor einem der Lagerschuppen am Ufer parkte.
Ohne Licht folgte sie ihm und fuhr auf einen großen Parkplatz abseits der Straße. Dort parkten mehrere Fahrzeuge, wahrscheinlich die der Hafenarbeiter der Nachtschicht, und sie fiel kaum auf. Nur wer sich die Windschutzscheiben genauer ansah, würde feststellen, dass ihre Parkplakette fehlte. Sie schaltete den Motor aus und legte die Glock schussbereit neben sich.
Sie
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