Ghost Street
ihren Körper floss, geriet sie sogar ins Schwitzen. Es war keine gewöhnliche Körperwärme, eher ein verführerisches Feuer, das von David ausging.
Sie spazierten Hand in Hand über den Friedhof, als wäre es das Natürlichste der Welt, sich um diese Zeit zwischen den Grabstätten zu unterhalten. Sie fühlte sich wohl in seiner Gegenwart, mochte sein Lächeln und war von seinerruhigen Art angetan, die man nur sehr selten bei Männern seines Alters fand. Wie alt mochte er sein? Mitte zwanzig? Ende zwanzig?
Er war kein gewöhnlicher Mann, in keiner Hinsicht, und ihn umgab ein Geheimnis, das sie bisher noch nicht ergründet hatte. »Du warst in der President Street«, bemerkte sie vorsichtig, »vor ungefähr einer Stunde. Warum bist du so plötzlich verschwunden?«
»Du meinst die Ghost Street? Die Straße, in der die Geister wohnen sollen? Dort bin ich oft. Da gibt es die schönsten Villen von Savannah. Historische Häuser aus der Zeit vor dem Bürgerkrieg. Ich bin verschwunden?«
»Plötzlich warst du weg. Ich dachte erst, du hättest dich in der verlassenen Villa versteckt, aber warum solltest du das tun? Du hast keine Angst.«
»Wer sagt das?« Er blieb unter einer Eiche stehen und lächelte. »In der President Street sollen viele Geister wohnen. Anna Kehoe, die bösen Zwillinge, der Mann mit dem Kopf unterm Arm. Viele Leute haben Angst vor den Geistern.« Sein Lächeln verstärkte sich. »Ich bin vor ihnen weggelaufen.«
»Das glaube ich nicht. Du hast mich in der alten Villa vor dem Sklavenjäger gerettet. Er … er wollte mich töten.«
»Ein Sklavenjäger?«
»In meinem Traum«, ergänzte sie rasch. »Ich hatte mich in einem der leeren Zimmer im ersten Stock versteckt, aber er kam mir nach und wollte mit seiner Peitsche auf mich losgehen. Du hast mich vor ihm gerettet.«
»One-Eyed Joe, der miese Kerl?«
Sie blickte ihn betroffen an. »Es gibt ihn wirklich? Du kennst seinen Namen? Er hatte tatsächlich nur ein Auge. Wie die Piraten in den Filmen.«
»Es gab wirklich mal einen One-Eyed Joe in Savannah«, erklärte David. Er zog sie sanft weiter. »Einen Sklavenjäger, der für mehrere Pflanzer arbeitete und flüchtige Schwarze einfing. Er war überall gefürchtet, auch bei den Weißen, weil er so brutal war.«
»Er hat in dem Haus gewohnt, das ich gemietet habe«, erwiderte Alessa. »Meine Vermieterin hat von ihm erzählt. Vielleicht träume ich deshalb von ihm. Er muss ein furchtbarer Mann gewesen sein. Unmenschlich.«
»Du brauchst keine Angst mehr vor ihm zu haben.« David warf ihr einen Blick zu. »Er ist schon lange tot. Er starb während des Bürgerkriegs. Ein Schwarzer schlug ihm den Kopf ein.«
»Dann ist sein Geist deshalb so wütend.« Alessa blieb neben dem Grab eines Helden aus dem Bürgerkrieg stehen. »Nur gut, dass er tot ist. Vor dem Killer, der Homer Middleton umgebracht hat, habe ich mehr Angst.«
David nickte ernst. »Ihr müsst ihm das Handwerk legen. Ihm und seinem Ku-Klux-Klan. Bevor noch mehr Verrückte zu dem Geheimbund stoßen.«
»Die Polizei ist dran«, sagte Alessa. »Und das FBI. Wenn wir nur wüssten, auf welche Nachkommen er es jetzt abgesehen hat. Jeremy Hamiltons drittes Opfer war Toby Snyder, der Student. Ein Freedom Rider, der mit anderen Weißen im Bus durch den Süden fuhr, um gegen die Willkür des Klans zu protestieren. Toby starb bei einer Explosion.«
»Ich weiß«, stimmte ihr David zu. »Jeremy Hamilton jagte den Bus in die Luft. Seine Fingerabdrücke wurden an der Bombe gefunden. Leider wollte die Spurensicherung später nichts mehr davon wissen. Du recherchierst anscheinend auch.«
»Zumindest als Studentin.« Es kam ihr nicht unnatürlich vor, mit einem Mann nachts auf einem Friedhof zu stehen.»Wenn du eine Seminararbeit schreiben willst, bleibt dir gar nichts anderes übrig. Ich weiß wahrscheinlich mehr über Jeremy Hamilton als sein eigener Sohn. Ich weiß, dass er den Sprengsatz in den Bus geworfen hat, in dem Toby Snyder saß, obwohl ich es nicht beweisen kann, und ich weiß, dass er das Haus anzündete, in dem Father Keanes Leiche gefunden wurde. Ich weiß sogar, dass der Pfarrer einen Sohn hat, der an derselben Kirche wie er predigt, Roy Keane junior. Ihn müssen wir unter Polizeischutz stellen. Aber Toby Snyder hat keine Nachkommen, alle seine Verwandten sind längst tot. Welches Opfer hat sich der Killer für ihn ausgesucht, David?«
»Darüber habe ich auch lange nachgedacht.« David war sehr ernst und nachdenklich geworden. »Nur durch
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