Ghost
alten Selbstsicherheit. »Danach surfst du durch alle wichtigen Nachrichten-Websites und überprüfst, ob da vielleicht noch mehr von Rycart kommt. Lucy, du setzt dich vor einen Fernseher und behältst die Nachrichtensender im Auge.« Sie schaute auf ihre Armbanduhr. »Ist Ruth schon von ihrem Spaziergang zurück? Scheiße! Sie ist noch draußen, oder?«
Sie schnappte sich ihr schwarz-rotes Ringbuch und klackerte auf ihren Stöckelschuhen den Korridor hinunter. Weil ich nicht wusste, was ich tun sollte oder was sich überhaupt genau abspielte, entschied ich mich dafür, Amelia zu folgen. Sie rief nach einem der Sicherheitsleute von der Special Branch. »Barry! Barry!« Besagter Mann steckte den Kopf aus der Küche. »Barry, such Mrs Lang, und bring sie so schnell wie möglich her.« Dann ging sie die Treppe zum Wohnzimmer hinauf.
Wieder saß Lang regungslos genauso da, wie ich ihn verlassen hatte. Der einzige Unterschied war, dass er sein kleines Handy in der Hand hielt. Als wir das Zimmer betraten, klappte er es zu.
»Nach dem Gebimmel zu urteilen, dürfte seine Presseerklärung jetzt draußen sein«, sagte er.
Amelia breitete wütend die Arme aus. »Warum haben Sie mir nichts gesagt?«
»Bevor ich es Ruth erzähle? Glaube kaum, dass das kluge Politik gewesen wäre, meinen Sie nicht auch? Außerdem wollte ich es einfach noch keinem erzählen.« Er schaute mich an. »Tut mir leid, dass ich vorhin so explodiert bin.«
Seine Entschuldigung rührte mich. Charme in Zeiten der Not, dachte ich. »Schon vergessen«, sagte ich.
»Und?«, fragte Amelia. »Haben Sie es Ruth inzwischen erzählt?«
»Ich wollte es ihr von Angesicht zu Angesicht sagen. Aber das war ja nun keine Option mehr. Ich habe sie gerade angerufen.«
»Und? Wie hat sie es aufgenommen?«
»Was glauben Sie?«
»Dieser kleine Pisser.«
»Sie müsste jeden Augenblick zurück sein.«
Lang stand auf, stützte die Hände in die Hüften und schaute aus dem Fenster. Wieder roch ich den leichten Geruch nach Schweiß. Ich musste an ein in die Enge getriebenes Tier denken. »Es sei ihm sehr wichtig, mich wissen zu lassen, dass nichts Persönliches dahinterstecke«, sagte Lang mit dem Rücken zu uns. »Und es sei ihm besonders wichtig, mir mitzuteilen, dass es nur um seinen allgemein bekannten Standpunkt bezüglich der Menschenrechte gehe und dass er nicht länger habe schweigen können.« Verächtlich schnaubte er sein Spiegelbild an. »Sein ›allgemein bekannter Standpunkt bezüglich der Menschenrechte‹ ... großer Gott.«
»Glauben Sie, dass er das Gespräch mitgeschnitten hat?«, fragte Amelia.
»Wer weiß? Wahrscheinlich. Wahrscheinlich geht er damit sogar an die Öffentlichkeit. Bei dem ist alles möglich. Ich habe nur gesagt: ›Ich danke Ihnen, Richard, dass Sie mir Bescheid gegeben haben‹, und habe aufgelegt.« Lang drehte sich um und schaute uns mit gerunzelter Stirn an. »Es ist so leise da unten, das macht mich ganz nervös.«
»Ich habe die Telefone ausstecken lassen. Wir müssen erst eine Antwort ausarbeiten.«
»Was haben wir am Wochenende gesagt?«
»Dass wir vom Bericht in der Sunday Times noch keine Kenntnis hätten und dass wir nicht beabsichtigten, ihn zu kommentieren.«
»Wenigstens wissen wir jetzt, woher die ihre Geschichte hatten.« Lang schüttelte den Kopf. Sein Gesichtsausdruck verriet fast so etwas wie Bewunderung. »Er will mir wirklich an die Eier. Am Sonntag lässt er was an die Presse durchsickern und bereitet so den Boden für seine Erklärung am Dienstag. Statt eines Tages Berichterstattung drei Tage. So baut man Spannung auf. Exakt nach Lehrbuch.«
»Nach Ihrem Lehrbuch.«
Lang quittierte das Kompliment mit einem leichten Nicken und drehte sich wieder zum Fenster um.
»Oh, oh«, sagte er. »Ärger im Anmarsch.«
Eine kleine Gestalt in blauer Windjacke marschierte mit entschiedenen Schritten den Weg von den Dünen herunter. Sie ging so schnell, dass der Sicherheitsbeamte in ihrem Schlepptau gelegentlich ein paar Laufschritte einlegen musste, um Anschluss zu halten. Zum Schutz gegen den Wind hatte sie die spitze Kapuze tief ins Gesicht gezogen und das Kinn fest auf die Brust gedrückt. Ruth Lang sah aus wie ein Ritter aus dem Mittelalter, der mit heruntergeklapptem Polyestervisier in die Schlacht zog.
»Adam, wir müssen unbedingt eine Stellungnahme herausgeben«, sagte Amelia. »Wenn Sie überhaupt nichts sagen oder zu lange warten, dann sieht das aus, als ...« Sie zögerte. »Na ja, sie werden ihre
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