Ghost
sofort.
»Nichts.« Doch dann spürte ich den Drang, mein Unbehagen mit jemandem zu teilen. »Na ja, er kommt mir ein bisschen gereizt vor.«
»Ach? Das passt eigentlich gar nicht zu ihm. Inwiefern?«
»Wegen nichts und wieder nichts hat er mich plötzlich angeblafft. Vielleicht ein bisschen viel der Körperertüchtigung heute Mittag«, sagte ich und versuchte das Ganze ins Witzige zu ziehen. »So was kann ja nicht guttun.«
Ich gab einer der Sekretärinnen – ich glaube, es war Lucy – die Disc und nahm mir die frischen Abschriften. Amelia stand immer noch da und schaute mich mit leicht zur Seite geneigtem Kopf an.
»Was ist?«, sagte ich.
»Sie haben recht. Irgendetwas macht ihm Sorgen. Gleich nach Ihrer Sitzung heute Morgen hat er einen Anruf bekommen.«
»Von wem?«
»Er kam auf seinem Handy. Er hat mir nicht gesagt, wer es war. Ich frage mich ... Alice, Darling, wärst du wohl so nett?«
Alice stand auf, und Amelia nahm ihren Platz vor dem Bildschirm ein. Ich glaube, ich habe noch nie Finger gesehen, die sich so schnell über eine Tastatur bewegten. Das Klicken der Plastiktasten verschmolz zu einem einzigen durchgehenden Schnurren. Es glich dem Geräusch einer Million umfallender Dominosteine. Fast genauso schnell wechselten die Bilder auf dem Monitor. Und dann, als Amelia fand, wonach sie gesucht hatte, verlangsamte sich das Klicken und verstummte mit einigen wenigen stakkatohaften Anschlägen.
»Scheiße!«
Sie drehte den Bildschirm zu mir, lehnte sich zurück und schaute mich mit ungläubigem Blick an. Ich beugte mich vor und las. Oben stand »Eilmeldung«:
27. Januar, 14.57 Uhr (ET)
NEW YORK (AP) – Der frühere britische Außenminister hat den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag aufgefordert, Vorwürfe zu untersuchen, nach denen der frühere britische Premierminister Adam Lang rechtswidrig angeordnet haben soll, verdächtige Personen zum Zweck der Folterung an die CIA zu übergeben.
Der vor Jahren von Premierminister Lang aus dem Kabinett entlassene Rycart ist derzeit UN-Sonderbeauftragter für Humanitäre Angelegenheiten und ein offener Kritiker der amerikanischen Außenpolitik. Rycart behauptete zum Zeitpunkt seines Ausscheidens aus der Regierung Lang, dass er gefeuert worden sei, weil man seine Politik für nicht hinreichend proamerikanisch gehalten habe.
In einer von seinem New Yorker Büro veröffentlichten Erklärung sagte Rycart, dass er dem Strafgerichtshof vor einigen Wochen mehrere Dokumente habe zukommen lassen. Die Dokumente – aus denen am Wochenende Einzelheiten einer britischen Zeitung zugespielt worden waren – belegen angeblich, dass Lang vor fünf Jahren als Premierminister persönlich die Verhaftung von vier britischen Staatsbürgern in Pakistan genehmigt habe. Rycart sagte außerdem: »Wiederholt habe ich die britische Regierung in persönlichen Gesprächen aufgefordert, diese illegale Aktion zu untersuchen. Ich habe mich als Zeuge für jede Ermittlung zur Verfügung gestellt. Die Regierung hat sich jedoch beständig geweigert, auch nur die Existenz einer ›Operation Tempest‹ anzuerkennen. Deshalb bleibt mir keine andere Wahl mehr, als das in meinem Besitz befindliche Beweismaterial dem Strafgerichtshof zu übergeben.«
»Dieser kleine Pisser«, flüsterte Amelia.
Das Telefon auf dem Schreibtisch klingelte. In das Gebimmel stimmte ein weiteres Telefon ein, das auf einem kleinen Tisch neben der Tür stand. Niemand rührte sich. Während Lucy und Alice zu Amelia schauten und auf Anweisungen warteten, machte sich auch Amelias Handy, das sie in einer kleinen Ledertasche an ihrem Gürtel trug, mit einem elektronischen Fiepsen bemerkbar. Für den Bruchteil einer Sekunde blitzte in Amelias Augen Panik auf – es muss einer der sehr wenigen Augenblicke in ihrem Leben gewesen sein, in dem sie nicht wusste, was sie tun sollte. Mangels Weisung streckte Lucy die Hand nach dem Telefon auf dem Schreibtisch aus.
»Finger weg!«, rief Amelia und fügte dann etwas ruhiger hinzu: »Wir brauchen erst eine einheitliche Sprachregelung.« Inzwischen klingelten auch in anderen Teilen des Hauses Telefone. Wie in einer Uhrenfabrik um Schlag zwölf. Amelia zückte ihr Handy und schaute auf die Nummer des Anrufers. »Die Meute ist im Anmarsch«, sagte sie und schaltete das Handy aus. Einige Sekunden lang trommelte sie mit den Fingerspitzen auf die Schreibtischplatte. »Okay. Alle Telefone ausstöpseln«, wies sie Alice an. Die Stimme klang schon fast wieder nach ihrer
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