Ghost
nicht mehr aus der Luft, sondern vom Boden. Langs Limousine tauchte aus dem Wald auf.
Dank der freundlichen Unterstützung durch den Commonwealth of Massachusetts hatten sich inzwischen noch mehr Streifenwagen am Ende des Weges eingefunden. Sie standen aufgereiht an der gegenüberliegenden Seite der Landstraße und hielten die Demonstranten auf sicheren Abstand. Einen Augenblick lang schien es so, als würde der Jaguar beschleunigen und in Richtung Flugplatz davonjagen, als plötzlich die Bremslichter aufleuchteten und der Wagen anhielt. Dahinter kam auch der Minivan schlitternd zum Stehen. Plötzlich tauchte Lang auf, ohne Mantel, anscheinend unempfindlich gegen die Kälte wie gegen die Sprechchöre der Demonstranten, und marschierte mit drei Special-Branch-Leuten im Schlepptau auf die Kameras zu. Ich sprang auf und tastete auf Amelias Sessel, in dessen Leder noch ihr Duft hing, nach der Fernbedienung. Ich stellte den Ton lauter.
»Es tut mir leid, dass ich Sie so lange in der Kälte habe warten lassen«, erklärte Lang. »Ich möchte Ihnen nur ein paar Worte zu den Nachrichten aus Den Haag sagen.« Er machte eine Pause und schaute zu Boden. Das tat er oft. War das echt oder eine Pose, um den Eindruck zu erwecken, er spreche aus dem Stegreif? Bei ihm konnte man das nie wissen. Der Sprechchor »Lang! Lang! Lang! Lügner! Lügner! Lügner!« war im Hintergrund deutlich zu hören.
»Wir leben in seltsamen Zeiten«, sagte er und hielt wieder inne, »in seltsamen Zeiten ...«, und jetzt hob er schließlich den Blick, »...in denen diejenigen, die immer für Freiheit, für Frieden und Gerechtigkeit eingestanden sind, beschuldigt werden, Verbrecher zu sein, während diejenigen, die offen zu Hass aufstacheln, das Abschlachten von Menschen glorifizieren und nach der Zerstörung der Demokratie trachten, vom Gesetz behandelt werden, als wären sie die Opfer.«
»Lügner! Lügner! Lügner!«
»Wie ich schon in meiner gestrigen Erklärung gesagt habe, bin ich immer ein entschiedener Verfechter des Internationalen Strafgerichtshofs gewesen. Ich glaube an die Arbeit des Gerichts. Ich glaube an die Integrität seiner Richter. Und deshalb sehe ich den Ermittlungen ohne jede Furcht entgegen. Weil ich aus tiefster Überzeugung sagen kann, dass ich nichts Falsches getan habe.«
Er ließ den Blick über die Demonstranten schweifen. Zum ersten Mal schien er die hin und her schwankenden Transparente wahrzunehmen, sein Gesicht darauf, die Gitterstäbe, den Sträflingsanzug, die blutigen Hände. Sein Mund wurde zu einem starren Strich.
»Ich lasse mich nicht einschüchtern«, sagte er, wobei er das Kinn leicht nach oben reckte. »Ich lasse mich nicht zum Sündenbock machen. Ich lasse mich nicht von meiner Arbeit ablenken, von meinem Kampf gegen Aids, gegen die Armut und gegen die Erderwärmung. Aus diesem Grund werde ich jetzt nach Washington fliegen, um wie geplant meine Arbeit zu tun. Für alle, die jetzt zu Hause in Großbritannien und überall auf der Welt zuschauen, möchte ich eines klar und deutlich zum Ausdruck bringen. So lange ich lebe, werde ich den Terrorismus bekämpfen, wo immer er bekämpft werden muss, ob auf dem Schlachtfeld oder – falls nötig – im Gerichtssaal. Ich danke Ihnen.«
Ohne auf die Fragen zu reagieren, die man ihm zurief – »Wann gehen Sie zurück nach England, Mr Lang?«; »Befürworten Sie Folter, Mr Lang?« –, drehte er sich um und ging mit festem Schritt zum Wagen zurück. Die Muskeln seiner breiten Schultern spannten sich unter dem maßgeschneiderten Anzug, das Leibwächtertrio schirmte seinen Rücken ab. Noch vor einer Woche hätte mich sein Auftritt eben ähnlich beeindruckt, wie mich seine New Yorker Rede nach dem Selbstmordattentat in London beeindruckt hatte. Jetzt wunderte ich mich darüber, wie ungerührt ich war. Als hätte ich einen großen Schauspieler in der Endphase seiner Karriere gesehen, der emotional ausgelaugt war, dem nichts als seine Technik geblieben war.
Ich wartete noch, bis er in seinem gas- und bombensicheren Kokon verschwunden war, dann schaltete ich den Fernseher aus.
*
Ohne Lang und seine Mannschaft wirkte das Haus nicht nur leer, sondern verwaist, seines Zwecks beraubt. Ich ging die Treppe hinunter und an den beleuchteten Schaukasten mit den Stammeserotika vorbei. Der Stuhl neben der Eingangstür, auf dem sonst immer einer der Leibwächter saß, war leer. Ich machte kehrt und folgte dem Gang, bis ich zum Büro der Sekretärinnen kam. Der kleine,
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