Ghost
an, wie die spanische Chefanklägerin – volles schwarzes Haar, leuchtend roter Lippenstift, glamourös wie ein Filmstar im silbrigen Licht der blitzenden Kameras – verkündete, dass man sie an diesem Morgen bevollmächtigt habe, unter Berufung auf Artikel sieben und acht des Rom-Statuts zum Internationalen Strafgerichtshof von 1998 Ermittlungen gegen den früheren britischen Premierminister Adam Peter Benet Lang einzuleiten.
Genauer gesagt, die anderen schauten sie sich an, ich beobachtete Lang. AL – 100% konzentriert, kritzelte ich in mein Notizbuch und tat so, als würde ich die Worte der Chefanklägerin mitschreiben, während ich tatsächlich meinen Auftraggeber studierte, um Eindrücke festzuhalten, die ich später verwenden konnte. Greift nach Rs Hand. Sie reagiert nicht. Er schaut sie an. Einsam, verblüfft. Zieht Hand zurück. Schaut wieder zum Fernseher. Schüttelt Kopf. Chefanklägerin: »War dies nur ein Einzelfall oder Teil eines systematischen kriminellen Verhaltensmusters?« AL zuckt. Wütend. Chefanklägerin: »Das Recht muss für Reich & Arm, für die Mächtigen & Schwachen gleichermaßen gelten.« AL brüllt den Fernseher an:» Und was ist mit den Terroristen ?«
Nie zuvor hatte ich eine reale Krise im Leben eines meiner Auftraggeber miterlebt. Während ich Lang musterte, wurde mir allmählich klar, dass meine bevorzugte Allzweckfrage – Was haben Sie dabei gefühlt? – in Wahrheit ein primitives Werkzeug war, unscharf bis zur Nutzlosigkeit. In diesen wenigen Minuten, während das juristische Prozedere erklärt wurde, jagte ein Gefühlsausbruch nach dem anderen über Langs zerfurchtes Gesicht, so flüchtig wie Wolkenschatten auf einer Hügelflanke im Frühling – Schock, Zorn, Schmerz, Trotz, Entsetzen, Scham ... Wie sollte man all diese Gefühle entwirren? Wenn sie schon jetzt, während er sie durchlebte, das reinste Chaos waren, wie konnte man dann erwarten, dass er Gefühle benannte, die schon zehn Jahre zurücklagen? Selbst seine Reaktionen in diesen Minuten würde ich für ihn herstellen müssen. Um sie plausibel erscheinen zu lassen, würde ich sie vereinfachen und zudem meine eigene Vorstellungskraft bemühen müssen. In gewissem Sinn würde ich lügen müssen.
Die Chefanklägerin beendete ihre Erklärung, antwortete kurz auf ein paar Fragen, die man ihr zurief, und verließ dann das Podium. Auf halbem Weg aus dem Saal posierte sie noch einmal für die Kameras, und wieder brach ein Blizzard aus künstlichen Blitzen über sie herein, während sie die Welt in den Genuss ihres erhabenen Adlerprofils kommen ließ. Im nächsten Augenblick war sie verschwunden. Auf dem Bildschirm erschien wieder die vertraute Luftaufnahme: Rhineharts Haus vor der Kulisse von Wäldern, See und Meer. Die Welt wartete auf Langs Auftritt.
Amelia stellte den Ton leiser. Unten fingen die Telefone an zu klingeln.
»Tja«, sagte Kroll und brach damit als Erster das Schweigen. »Da war ja nun nichts dabei, was wir nicht erwartet hätten.«
»Stimmt«, sagte Ruth. »Klasse Arbeit.«
Kroll tat so, als hätte er das nicht gehört.
»Am besten fliegen wir nach Washington, Adam, und zwar sofort. Mein Flugzeug ist startklar.«
Lang schaute immer noch auf den Bildschirm. »Als Marty uns sein Ferienhaus angeboten hat, hatte ich keine Ahnung, wie weit vom Schuss das hier ist. Wir hätten nie herkommen sollen. Jetzt sieht es so aus, als würden wir uns verstecken.«
»Exakt meine Meinung. Sie können sich nicht hier verkriechen, zumindest nicht heute. Ich habe schon ein bisschen rumtelefoniert. Zum Lunch treffen wir den Mehrheitsführer des Repräsentantenhauses, für heute Nachmittag ist ein Fototermin mit dem amerikanischen Außenminister vorbereitet.«
Lang wandte schließlich den Blick vom Fernseher ab. »Ich weiß nicht, ob das gut ist. Könnte so aussehen, als ob ich in Panik ausbreche.«
»Keine Sorge. Ist alles besprochen. Die beiden lassen die besten Wünsche ausrichten, sie werden helfen, wo sie können. Beide werden behaupten, dass die Treffen schon vor Wochen ausgemacht worden seien, um über die Adam Lang Foundation zu diskutieren.«
»Aber das klingt doch falsch, finden Sie nicht?«, sagte Lang mit finsterer Miene. »Und das Thema, worüber sollen wir diskutieren?«
»Spielt doch gar keine Rolle. Aids, Armut, Klimawandel, Afrika. Was Sie wollen. Rüberkommen muss nur eins: Alles geht seinen gewohnten Gang, ich habe eine Agenda abzuarbeiten, da geht’s um wirklich wichtige Sachen, und von diesen
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