Ghost
Frau. Ich wagte es nicht, Ruth anzuschauen.
»Adam Lang«, sagte der Außenminister, »hat im Krieg gegen den Terror an unserer Seite gestanden, und ich bin stolz darauf, heute Nachmittag an seiner Seite stehen zu dürfen und ihm im Namen des amerikanischen Volkes die Hand der Freundschaft zu reichen. Adam, schön, Sie zu sehen.«
»Grinsen Sie nicht«, ermahnte mich Ruth.
»Ich danke Ihnen«, sagte Adam, lächelte und schüttelte die ausgestreckte Hand. Er strahlte in die Kameras. Er sah aus wie ein eifriger Schüler, der bei der Jahresabschlussfeier einen Preis entgegennahm. »Ich danke Ihnen vielmals.«
»So eine Scheiße«, rief Ruth.
Sie zeigte mit der Fernbedienung auf den Fernseher und wollte gerade ausschalten, als Richard Rycart im Bild auftauchte. Inmitten der üblichen Bürokratentraube schritt er durch die Lobby der Vereinten Nationen. In letzter Sekunde, wie es schien, entschloss er sich zu einem Umweg und ging auf die Kameras zu. Er war etwas älter als Lang, fast sechzig. Er war in Australien, Rhodesien oder irgendeinem anderen Teil des Commonwealth geboren und als Teenager nach England gekommen. Das wallende stahlgraue Haar ergoss sich theatralisch über den Kragen, und nach der Art zu urteilen, wie er sich vor den Kameras aufbaute, war er sich sehr wohl bewusst, welche Gesichtshälfte die vorteilhaftere war: die linke. Das gebräunte Hakennasenprofil erinnerte entfernt an das eines Sioux-Häuptlings.
»Ich habe heute mit Bestürzung und Trauer die Erklärung in Den Haag mitverfolgt«, erklärte er. Ich beugte mich vor. Das war ohne jeden Zweifel die Stimme, die ich heute am Telefon gehört hatte: Die schwachen Überreste seines leiernden Akzents waren unverkennbar. »Adam Lang war und ist ein alter Freund von mir ...«
»Du bigottes Arschloch«, sagte Ruth.
»... und ich bedauere es sehr, dass er sich hat hinreißen lassen, diese Angelegenheit auf eine persönliche Ebene zu ziehen. Hier geht es nicht um einzelne Personen. Es geht um Gerechtigkeit. Es geht darum, ob für die reichen weißen Staaten des Westens andere Gesetze gelten als für den Rest der Welt. Es geht darum, jedem politischen und militärischen Führer klarzumachen, dass er für jede Entscheidung, die er trifft, von internationalen Gesetzen zur Verantwortung gezogen werden kann. Ich danke Ihnen.«
Ein Reporter rief: »Wenn man Sie dazu auffordert, Sir, werden Sie dann als Zeuge auftreten?«
»Natürlich.«
»Da wette ich drauf, du kleiner Scheißer«, sagte Ruth.
Die Kurznachrichten wandten sich einem Selbstmordattentat im Nahen Osten zu. Ruth schaltete den Fernseher aus, und im nächsten Augenblick klingelte ihr Handy. Sie schaute es an.
»Das ist Adam. Will meine Meinung hören, wie es gelaufen ist.« Sie schaltete auch das Handy aus. »Soll ruhig noch ein bisschen schwitzen.«
»Fragt er Sie immer um Ihren Rat?«
»Immer. Und er hat ihn auch immer beherzigt. Bis vor Kurzem.«
Ich schenkte uns Wein nach. Ganz langsam spürte ich, dass er Wirkung zeigte.
»Sie hatten recht«, sagte ich. »Er hätte nicht nach Washington fahren sollen. Hat keinen guten Eindruck gemacht.«
»Wir hätten auch nicht hierher kommen sollen«, sagte sie und gestikulierte mit ihrem Weinglas in den Raum. »Schauen Sie sich doch um. Das alles zum Wohl der Adam Lang Foundation. Und was ist das genau? Nichts weiter als eine Übersprungshandlung mit gewaltigem Medienwirbel für einen gerade arbeitslos Gewordenen.« Sie beugte sich vor und stellte ihr Glas ab. »Soll ich Ihnen sagen, was die wichtigste Regel in der Politik ist?«
»Was?«
»Verliere nie den Kontakt zur Basis.«
»Ich werd’s versuchen.«
»Halten Sie den Mund. Das meine ich ernst. Man kann ihn etwas vernachlässigen, sicher, muss man sogar, wenn man Wahlen gewinnen will. Aber niemals, auf gar keinen Fall, darf man den Kontakt ganz verlieren. Wenn das nämlich passiert, dann ist man erledigt. Stellen Sie sich vor, wir hätten gerade die Bilder von seiner Ankunft in London gesehen. Er wäre zurückgeflogen, um den Kampf gegen diese lächerlichen Figuren mit ihren absurden Anschuldigungen aufzunehmen. Das hätte einen fantastischen Eindruck gemacht. Und stattdessen ... mein Gott!« Sie schüttelte den Kopf und stieß einen zornigen, frustrierten Seufzer aus. »Also los. Essen wir was.«
Sie nahm ihr Glas und stand vom Sofa auf. Dabei verschüttete sie ein paar Tropfen Wein auf ihr rotes Wollkleid, was sie aber nicht zu bemerken schien. Mich überkam die grässliche Vorahnung,
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