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Ghost

Titel: Ghost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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dass sie sich betrinken würde. (Ich teile das allgemeine Vorurteil des seriösen Trinkers, dass es nichts Irritierenderes gibt als einen betrunkenen Mann, außer betrunkene Frauen: Irgendwie schaffen sie es, jeden zu enttäuschen.) Aber als ich ihr nachschenken wollte, legte sie die Hand aufs Glas.
    »Danke, ich habe genug.«
    Der lange Tisch am Fenster war für zwei gedeckt, und der Anblick der wütenden Natur jenseits der dicken Panoramascheibe verstärkte noch die intime Stimmung: die Kerzen, die Blumen, das knisternde Kaminfeuer. Es kam mir etwas überzogen vor. Dep brachte uns zwei Teller mit klarer Suppe, und eine Zeit lang war bei peinlicher Stille nur das Klappern unserer Löffel auf Rhineharts Porzellan zu hören.
    »Wie läuft’s?«, fragte sie.
    »Mit dem Buch? Gar nicht, um ehrlich zu sein.«
    »Warum nicht – abgesehen von dem naheliegenden Grund?«
    Ich zögerte.
    »Darf ich offen sein?«
    »Natürlich.«
    »Ich tue mich schwer, ihn zu verstehen.«
    »Ach?« Sie trank jetzt stilles Wasser mit Eis. Als sie mich über den Brillenrand mit ihren dunklen Augen anschaute, hatte ich wieder einmal das Gefühl, als blickte ich in eine doppelläufige Schrotflinte. »In welcher Beziehung?«
    »Ich verstehe nicht, warum dieser gut aussehende achtzehnjährige Bursche, der ohne das geringste Interesse an Politik nach Cambridge geht und da nichts anderes macht als schauspielern, trinken und den Mädchen nachrennen, dass der plötzlich ...«
    »Jemanden wie mich heiratet?«
    »Nein, nein, das meine ich nicht, natürlich nicht.« (Doch, natürlich, genau das hatte ich gemeint, was sonst?) »Nein. Ich verstehe nicht, warum er ein paar Jahre später, mit zweiundzwanzig oder dreiundzwanzig, plötzlich Mitglied einer politischen Partei ist. Was war der Grund?«
    »Haben Sie ihn nicht gefragt?«
    »Er hat gesagt, dass er wegen Ihnen eingetreten ist. Dass Sie ihn angeworben haben, dass er sie anziehend fand und dass er Ihnen aus Liebe in die Politik gefolgt ist, so in etwa. Um Sie öfter sehen zu können. Also, damit kann ich was anfangen. Das könnte wahr sein.«
    »Aber ist es nicht?«
    »Nun ja, Sie wissen, dass es nicht stimmt. Er war schon mindestens ein Jahr Parteimitglied, als Sie beide sich das erste Mal gesehen haben.«
    »Ach, wirklich?« Sie legte die Stirn in Falten und trank einen Schluck Wasser. »Diese Geschichte, die er immer erzählt, wie er zur Politik gekommen ist ... Ich kann mich genau an diese Episode erinnern, weil ich damals siebenundsiebzig in London Wahlkampf gemacht habe, und ganz sicher hab ich damals an seine Tür geklopft, und ganz sicher ist er von da an regelmäßig zu unseren Parteitreffen gekommen. Also, ein Körnchen Wahrheit steckt schon drin.«
    »Ein Körnchen«, gab ich zu. »Vielleicht ist er ja fünfundsiebzig Mitglied geworden, war aber nicht weiter engagiert und ist erst, nachdem Sie sich kennengelernt haben, aktiver geworden. Das ist aber immer noch keine Antwort auf meine Kernfrage, warum er überhaupt in eine politische Partei eingetreten ist.«
    »Ist das wirklich so wichtig?«
    Dep kam die Treppe hoch, um die Teller abzuräumen. Während der Gesprächspause dachte ich über Ruths Frage nach.
    »Ja«, sagte ich, als wir wieder allein waren. »Mag Ihnen komisch erscheinen, aber ich glaube schon, dass das wichtig ist.«
    »Warum?«
    »Auch wenn es nur ein winziges Detail ist, es bedeutet doch immerhin, dass er nicht ganz der ist, für den wir ihn halten. Ich bin mir nicht mal sicher, ob er ganz der ist, für den er sich selber hält. Und das macht’s wirklich schwierig, wenn man die Autobiografie von jemandem schreiben soll. Ich habe einfach das Gefühl, dass ich ihn überhaupt nicht kenne. Ich schaffe es nicht, für ihn einen persönlichen Stil zu finden.«
    Ruth schaute mit gerunzelter Stirn auf den Tisch und nahm minutiöse Veränderungen an der Lage von Messer und Gabel vor. Ohne den Blick zu heben, fragte sie: »Woher wissen Sie, dass er fünfundsiebzig eingetreten ist?«
    Einen Augenblick lang war ich erschrocken, dass ich vielleicht zu viel gesagt haben könnte. Andererseits gab es keinen Grund, warum ich es ihr nicht erzählen sollte. »Mike McAra hat im Archiv in Cambridge Adams Original-Parteiausweis gefunden.«
    »Gott!«, sagte Ruth. »Dieses Archiv! Die haben wirklich alles, von seinen Vorschulzeugnissen bis zu unseren Wäschereirechnungen. Typisch Mike, eine gute Geschichte durch zu viel Recherche zu ruinieren.«
    »Er hat außerdem irgendeine obskure Broschüre

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