Ghost
Telefon reinzubringen.«
Sie setzte sich auf die Bettkante und legte das Gesicht in die Hände. Ich wusste nicht, was ich tun sollte. Irgendwie erschien es mir unpassend, stehen zu bleiben, so turmhoch vor ihr aufzuragen, also setzte ich mich neben sie. Sie zitterte von Kopf bis Fuß: vielleicht aus Angst oder Zorn, vielleicht fror sie auch nur.
»Erst hat er gesagt, er kann jetzt nicht reden«, erzählte sie weiter. »Und ich habe ihm gesagt, dass er jetzt verdammt noch mal sofort das Maul aufmachen soll. Also ist er mit dem Telefon auf die Toilette. Als ich ihm berichtet habe, dass Mike sich kurz vor seinem Tod wahrscheinlich mit Rycart in Verbindung gesetzt hat, hat er nicht mal so getan, als wäre er überrascht.« Sie schaute mich an. Sie war ganz verzweifelt. »Er hat es gewusst.«
»Hat er das gesagt?«
»Das brauchte er gar nicht. Ich hab’s an seiner Stimme gemerkt. Er hat gesagt, dass wir das nicht am Telefon besprechen sollten. Wir würden drüber reden, wenn er wieder da ist. Gott steh uns bei, in was für eine Sache hat er sich da bloß reinziehen lassen?«
Etwas in ihr schien nachzugeben, denn plötzlich sackte sie zusammen und kippte mit ausgestreckten Armen gegen mich. Ihr Kopf schlug so hart gegen meine Brust, dass ich einen Augenblick lang glaubte, sie sei ohnmächtig geworden. Doch dann merkte ich, dass sie sich so heftig an mich klammerte, dass ich durch den dicken Stoff des Bademantels jede einzelne ihrer Fingerspitzen spürte. Ich bewegte meine Hände in vielleicht vier, fünf Zentimetern Abstand über ihrem Rücken unsicher auf und ab, als wäre sie von einer Art magnetischem Feld umgeben. Schließlich strich ich ihr übers Haar und versuchte sie flüsternd zu besänftigen.
»Noch nie in meinem Leben habe ich Angst gehabt«, sagte sie mit gedämpfter Stimme. »Jetzt habe ich Angst.«
»Ihre Haare sind klatschnass«, flüsterte ich sanft. »Ich hole Ihnen eben ein Handtuch.«
Ich machte mich los und ging ins Bad. Ich schaute mich im Spiegel an. Ich kam mir vor wie ein Skifahrer, der oben an einer schwarzen Abfahrt steht, die er noch nie gefahren ist. Als ich wieder ins Zimmer kam, hatte sie den Bademantel ausgezogen und lag mit bis ans Kinn hochgezogener Decke im Bett.
»Haben Sie was dagegen?«, fragte sie.
»Nein, natürlich nicht«, sagte ich.
Ich machte das Licht aus und legte mich neben sie, auf die kalte Seite des Bettes. Sie drehte sich um, legte mir den Arm über die Brust und drückte ihre Lippen auf meine – so fest, als wollte sie mir das Leben retten.
ZWÖLF
»Das Buch ist für den Ghost keine Plattform, um eigene Ansichten über welches Thema auch immer zu äußern.«
»GHOSTWRITER«
Als ich am nächsten Morgen aufwachte, rechnete ich damit, die Betthälfte neben mir leer vorzufinden. So sieht es das übliche Protokoll für derartige Situationen schließlich vor, oder? Wie ein Vampir erpicht darauf, der unerbittlichen Morgendämmerung zu entgehen, zieht sich die besuchende Partei nach Erledigung der nächtlichen Verrichtungen in ihre eigenen Räumlichkeiten zurück. Nicht so Ruth Lang. Im Halbdunkel sah ich ihre nackte Schulter und das kurze schwarze Haar, und an ihrem unregelmäßigen, fast lautlosen Atmen erkannte ich, dass sie genauso wach lag und auf Geräusche von der anderen Seite lauschte wie ich. Wie das steinerne Abbild eines Kreuzritters auf seinem Grab lag ich mit über dem Bauch gefalteten Händen reglos auf dem Rücken und schloss in regelmäßigen Abständen, immer wenn mir ein neuer Aspekt des Schlamassels bewusst wurde, die Augen. Auf der Richterskala der schlechten Ideen hatte sich diese zweifellos eine Zehn verdient. Nach einer Weile ließ ich meine Hand über die Matratze zum Nachttisch krabbeln und nach meiner Uhr tasten. Ich hielt sie mir direkt vor die Nase. Es war Viertel nach sieben.
Ich tat so, als wüsste ich nicht, dass sie sich nur schlafend stellte, schlüpfte vorsichtig aus dem Bett und bewegte mich in Richtung Bad.
»Schon wach?«, fragte sie.
»Entschuldige, ich wollte dich nicht wecken«, sagte ich. »Ich geh unter die Dusche.«
Ich schloss hinter mir ab, drehte das Wasser voll auf, stellte es so heiß, wie ich es gerade noch aushalten konnte, und ließ mich von dem harten Strahl durchwalken – Rücken, Bauch, Beine und Kopf. Schnell war der kleine Raum mit Dampf gefüllt. Danach, beim Rasieren, musste ich ständig mein Spiegelbild freirubbeln, damit ich nicht immer wieder verschwand.
Als ich zurück ins Zimmer ging,
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