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Ghost

Titel: Ghost Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Harris
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Ich wusste, dass er am liebsten gleich hier auf der Veranda einen Blick darauf geworfen hätte. Aber dafür war ich zu schlau. Ich wartete und wartete, bis er schließlich keine Wahl mehr hatte. »Schön. Bitte, kommen Sie doch rein.«
    Das Haus hatte polierte Holzfußböden, und es roch nach Bohnerwachs und Trockenblumen. Es hatte etwas von der Kühle eines unbewohnten Hauses. Auf dem Treppenabsatz tickte sehr laut eine Standuhr. Ich hörte, wie seine Frau in einem anderen Raum telefonierte. »Ja«, sagte sie, »er ist jetzt da.« Dann muss sie sich wegbewegt haben. Ihre Stimme wurde leiser und verstummte schließlich ganz.
    Emmett schloss die Haustür hinter uns.
    »Darf ich?«, sagte er.
    Ich nahm das Foto aus dem Umschlag und gab es ihm. Er schob sich die Brille in sein glänzendes silberweißes Haar und ging mit dem Foto zum Flurfenster. Für sein Alter sah er sehr fit aus, ich tippte auf regelmäßigen Sport: wahrscheinlich Squash, sicher Golf.
    »Tja«, sagte er, während er das Schwarz-Weiß-Foto ins blasse Licht hielt, nach links und nach rechts drehte und wie ein Kunstexperte an seiner langen Nase entlangspähte, der die Echtheit eines Gemäldes prüfte. »Ich habe buchstäblich keine Erinnerung daran.«
    »Aber das sind Sie doch, oder?«
    »Ja, natürlich. Ich war im Vorstand vom Dramat, damals, in den Sechzigern. Eine heiße Zeit, können Sie sich ja vorstellen.« Zusammen mit seinem jugendlichen Abbild gönnte er sich ein komplizenhaftes Kichern. »Ja, ja.«
    »Dramat?«
    »Entschuldigung.« Er schaute auf. »Yale Dramatic Association. Als ich wegen der Forschungen für meine Doktorarbeit nach Cambridge gegangen bin, hatte ich gedacht, dass ich da meiner Theaterleidenschaft weiter würde frönen können. Doch leider, leider bin ich nur ein Semester bei den Footlights gewesen, der Arbeitsstress hat meiner Karriere als Schauspieler ein Ende gesetzt. Kann ich das behalten?«
    »Leider nicht. Aber ich könnte Ihnen einen Abzug besorgen.«
    »Wirklich? Das wäre sehr nett.« Er drehte das Foto um und inspizierte die Rückseite. »Cambridge Evening News. Wie sind Sie denn daran gekommen?«
    »Das ist eine nette Geschichte«, sagte ich. Und dann wartete ich wieder. Es war wie beim Kartenspielen. Er rückte erst dann den Stich heraus, wenn ich ihn dazu zwang. Das Pendel der großen Uhr tickte ein paarmal hin und her.
    »Kommen Sie, wir gehen in mein Arbeitszimmer«, sagte er.
    Er öffnete eine Tür, und wir betraten einen Raum, in dem es leicht nach Zigarrenrauch roch, einen Raum, der direkt aus Ricks Londoner Club hätte stammen können: dunkelgrüne Tapete, Bücher vom Boden bis zur Decke, Bibliotheksleiter, mit braunem Leder überzogene Polstermöbel, ein großes Messinglesepult in Form eines Adlers, eine römische Büste. Eine Wand war ausschließlich Erinnerungsstücken gewidmet, Belobigungen, Preisen, Ehrentiteln und jeder Menge Fotografien: Emmett mit Bill Clinton und Al Gore, Emmett mit Margaret Thatcher und Nelson Mandela sowie mit vielen anderen, die ich nicht kannte. Es war auch ein Foto von ihm mit Lang dabei, anscheinend auf einer Cocktailparty aufgenommen, eines dieser gestellten Keep-Smiling-Fotos. Emmett bemerkte, dass ich die Bilder betrachtete.
    »Die Ego-Wand«, sagte er. »Unsereins hat so was. Der Kieferorthopäde setzt sich vors Aquarium, wir schauen uns das an. Nehmen Sie doch Platz. Unglücklicherweise habe ich nur ein paar Minuten Zeit.«
    Ich setzte mich auf das harte Ledersofa, während er sich hinter dem Schreibtisch auf seinem Kapitänsstuhl niederließ. Er wippte locker vor und zurück. Dann schwang er die Füße auf die Tischplatte und gewährte mir einen prima Blick auf seine schon etwas abgetretenen Straßenschuhe.
    »Also«, sagte er. »Das Bild.«
    »Ich arbeite mit Adam Lang an seiner Autobiografie.«
    »Ich weiß, das sagten Sie schon. Der arme Lang. Üble Geschichte, dieses Theater, was die in Den Haag da abliefern. Und was Rycart angeht – meiner Meinung nach der schlechteste Außenminister seit dem Krieg. Aber wenn sich der Strafgerichtshof weiter so töricht aufführt, dann erreichen sie damit nur eins: Erst machen sie aus Lang einen Märtyrer und dann einen Helden, und obendrein ...« Er vollführte eine huldvolle Handbewegung in meine Richtung. »... bescheren sie ihm einen Bestseller.«
    »Wie gut kennen Sie Lang?«
    »Lang? Fast gar nicht. Das scheint Sie wohl zu überraschen.«
    »Nun ja, er erwähnt Sie in seinen Memoiren.«
    Emmett schien ehrlich verblüfft zu

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